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BLOG vom: 19.05.2025

Interview mit Leserbriefautor Heiner Keller

 

Interview mit Heiner Keller (1949), Oberzeihen AG, Biologe, pensioniert, 40 Jahre Umweltberatung in Aarau, ehrenamtliche Tätigkeit in verschiedenen Vereinen, Autor mehrerer Bücher

Autor: Heinz Oftinger, Fachjournalist ViF, innoFutura Medien

 

In verschiedenen lokalen und regionalen Medien der Nordwestschweiz stammen gefühlte 80% der Leserbriefe zum Thema Natur, Wald und Demokratie aus „Kellers Feder“. Was war der Auslöser, dass Sie sich so engagieren?

Wer zu einem Thema eine klare Meinung hat und schweigt, wenn Presse, Involvierte und Öffentlichkeit sie anders darstellen, ist ein Feigling. Eine lebendige Demokratie braucht Meinungsvielfalt. Im Fricktal täuscht die Anzahl der Gratismedien (2), die in alle Haushaltungen verschickt werden, die gefühlten 80%. Und es gibt noch 2 aktive Leserbriefschreiber, die auch Keller heissen.

 

Was ist Ihre Motivation, Leserbriefe zu schreiben?

Die schriftliche Formulierung fördert die Strukturierung, die Ordnung der Gedanken und die geistige Beschäftigung mit dem Thema und vorgebrachten Argumenten. Das Schreiben hat für mich persönlich positive psychohygienische Wirkungen. Das Abschicken wirkt wie eine Befreiung: Ich bin mein Anliegen und allfälligen Frust los. Besonders motiviert bin ich, wenn ich von Auskunftspersonen und Verantwortlichen angelogen werde.

 

Werden Sie dafür bezahlt?

Die Gesellschaft hat mir eine gute Schulbildung und den Besuch einer Hochschule ohne Auflagen und Denkverbote ermöglicht. Sie hat mich zu selbständigem Denken motiviert. Ich leiste mir das Schreiben von Leserbriefen ohne Bezahlung seit über 50 Jahren. Ich habe immer mit meinem Namen unterschrieben. Das ist quasi meine Gegenleistung für die freiheitliche Ausbildung.

 

Werden alle Ihrer Einsendungen abgedruckt?

Nein, natürlich nicht. Das ist auch nicht mein Anspruch. Wenn ein Leserbrief einen Nerv der Redaktion oder der Gesellschaft trifft, und wenn gewisse Regeln eingehalten werden, sind die Chancen für die Veröffentlichung gut.

 

Welche Reaktionen und Rückmeldungen erhalten Sie von den Lesern und den Medien?

Es gibt wenig direkte Reaktionen von Lesern. Nur wenn die Empörung pro oder kontra sehr gross ist, melden sich Leute direkt bei mir.
Medien haben sich in den letzten Jahrzehnten sehr gewandelt. Im letzten Jahrhundert fanden auf den Leserbriefseiten richtige Leserbriefschlachten zu einzelnen Themen statt. Auch kantonale Amtsstellen, Täter und Betroffene mischten sich ein. Medien förderten die Auseinandersetzung, indem sie beispielsweise Höflichkeitsformen oder Anreden im Text strichen. Heute finden solche Machenschaften in den Kommentarspalten oder in sozialen Medien statt. Die Presse verliert laufend Leser, streicht Reporter und eigene Recherchen. Leserbriefe prallen in Medien nicht mehr auf eigene Inhalte oder Haltungen, sondern auf die Mainstreammitteilungen von Lobbyisten oder Amtsstellen. Die Redaktion hält sich aus der Klärung von Sachverhalten raus.

 

Welche Wirkungen erzeugen die Leserbriefe, ein Beispiel?

Leserbriefe werden gelesen. Weil die Lehrer nicht mehr in den Dörfern leben, wo sich die Schule befindet, hängen Leserbriefe am Anschlagbrett. Kaffeenischen, Stammtische sind Orte, wo sie kommentiert werden. Die Botschaft kommt mit grosser Wahrscheinlichkeit dort an, wo sie verursacht wurde. Betroffene werden hellhörig und sie können sich der Kritik nicht entziehen.
Angestellte des Forstbetriebs grüssen nach einem Leserbrief ein paar Tage nicht mehr.
In den 1980er Jahren habe ich in Aarau regelmässig Leserbriefe geschrieben, wenn auf meinem Arbeitsweg die Randflächen mit Herbiziden behandelt wurden. Die Stadt hat damit aufgehört, nicht wegen meiner Leserbriefe, sondern weil die Mitarbeiter des Werkhofs bei ihrer Tätigkeit laufend mit Sprüchen belästigt wurden. Sie weigerten sich, diese Arbeit weiter auszuführen. Leider funktioniert das auf dem Land heute noch nicht…

 

Was müsste sich ändern, damit Sie keine Leserbriefe mehr schreiben?

Wenn ich mich nicht mehr aufregen kann, dann bin ich tot. Etwas Aufregung gehört zum Leben wegen des Adrenalins. Die Gesellschaft mit dem aktuellen Wachstums- und Veränderungswahn liefert Beispiele im Minutentakt. Für Leserbriefe kann ich mir Themen aus der Umgebung auswählen. Ich bin an keinen Zwang und keine Termine gebunden. Fertig wäre, wenn es keine Gratismedien in Papierform mehr gäbe.

 

Wäre es nicht sinnvoll, wenn noch mehr Einwohner und Leser ihre Informationen, Meinungen, Hinweise etc. den Redaktionen zur Veröffentlichung mitteilen würden?

Leserbriefe müssen unterstützt werden, durch mehr Leserbriefe, durch Mehrheiten, Hintergrundinformationen, usw., damit sie in der Gesellschaft und der Landschaft Wirkung erzielen.

 

Wie ermutigen Sie die Leser, auch selbst mit einem Beitrag aktiv zu werden?

Ich kann nur für mich sprechen. Ich freue mich über alle, die sich ihre eigenen Gedanken machen, die beobachten, sich äussern und entsprechend handeln. Für mich nicht egal sind: Wie werden meine Steuern ausgegeben, werden die Spielregeln der Demokratie und die Gesetze eingehalten und werden alle Mitmenschen gleich behandelt. Ich stelle fest, dass die Bevormundung der Bevölkerung durch Amtsstellen zunimmt, und dass die Fülle der zunehmenden Gesetze auch bei gutem Willen kaum mehr eingehalten werden kann.

 

Welche Tipps würden Sie ihnen geben?

Bleiben Sie sich selbst. Organisierte Aktionen zu Wahl- und Abstimmungsempfehlungen sind für mich keine Leserbriefe sondern Propaganda. Man spürt einem Text an, ob er von Innen oder aus einer Parteizentrale kommt. Sollten Sie gar die Künstliche Intelligenz bemühen, vergessen Sie es.

 

Worüber schreiben Sie Ihren nächsten Leserbrief? (Bonusfrage)

Das entscheiden die Gesellschaft, die Kommunikationsabteilungen von Amtsstellen und Verbänden und meine persönliche Lust.

Besten Dank für die Beantwortung der Fragen. Weiterhin viel Erfolg auf Ihrem weiteren Lebensweg als Leserbriefautor mit informativen Inhalten!

 

(Das Interview fand im Februar 2024 statt.)

 

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