Textatelier
BLOG vom: 30.10.2005

Wie Mann heute zur Frau kommt – und umgekehrt

Autor: Emil Baschnonga
 
Einst verhimmelte der Jüngling seine heimliche Geliebte von Ferne, träumte von ihr und schrieb ihr Gedichte in Briefen, die er nicht auf die Post brachte. “Wann wird er endlich Mut fassen?“, fragte sich das Mädchen bange. Das konnte lange dauern, wenn überhaupt, bis sie einander fanden. Die Literatur und Poesie strotzt vor solchen delikaten Liebesgefühlen. Das ist aber alles lange her.
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Andere Länder, andere Sitten. Viele Einwanderer in England stammen aus Pakistan. Sie leben weiter nach dem Brauch ihrer Eltern und Grosseltern. Es obliegt den Eltern, das Brautpaar zu bestimmen. Das dauert bis auf den heutigen Tag und birgt viele Konflikte, wie im Film „East Is East“ zeitgemäss und witzig parodiert, innerhalb einer pakistanischen/englischen Mischehe mit 6 Söhnen und 1 Tochter. (Der Schauplatz ist Salford im Jahre 1971.)
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Was riet der Schweizer Bauer einst seinem Sohn? „Heirate über den Mist, dann weisst du, wer es ist.“ Das Nachbardorf war schon zu weit weg, was die eventuelle Güterzusammenlegung erschwerte. So etwas geht heute nicht mehr, und niemand soll das als Verlust beklagen.
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Zwischenhinein stellt sich die Frage: Ist Liebe notwendig? Vielleicht versteckt sich die Antwort hinter Corneilles Satz: „On ne doit plus aimer quand on n’est plus aimable“ (Man sollte nicht mehr lieben, wenn man nicht mehr liebeswürdig ist).
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Heiratsvermittler hat es schon immer gegeben, so gut wie den Kuhhandel. Wie viel wiegt die gute dicke Bertha, etwa in Pfund Sterling umgemünzt? Es wird immer einer kommen, der anbeisst …
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Ich habe gehört, dass früher in Österreich junge Männer „fensterln“ gingen, also nachts durchs Fenster das Kämmerlein ihrer Auserwählten aufsuchten. Bestanden die Mädels und Burschen diese Generalprobe, waren sie moralisch verpflichtet, den nächsten Schritt in den Ehestand zu tun.
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Heute geht alles anders – vorneweg drunter und drüber. Für unverheiratete oder geschiedene Frauen herrscht das Schaltjahr jahrein/jahraus, um ihren Eheantrag an den Mann zu bringen. Sie jagen den Männern wie Furien nach, und wohlgemerkt, nicht nur einem, sondern mehreren zugleich, sicherheitshalber, um ihre Chancen zu erhöhen. Kein Wunder, dass die Männer wie scheues Wild verduften.
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Ich glaube fest daran, dass der Kniefall noch immer am Mann liegt. Ich tat dies in der Kensington-High-Street-Untergrundstation – zwar ohne Kniefall –, doch einen stimmungsvolleren Ort hätte ich gewiss nicht wählen können.
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Hinzu kommt die Sache mit der „biologischen Uhr“, die unbarmherzig tickt. Dafür gab es einmal das treffende Wort: Torschlusspanik. Frauen sind ärger noch als Männer im Beruf eingespannt und wollen unbedingt Karriere machen. Im letzten Augenblick kriegen sie Angst, dass sie den Anschluss verpassen könnten. Männlein wie Weibchen arbeiten Überstunden und finden kaum mehr Zeit, Bekanntschaften anzuknüpfen.
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Das, was ich „Fliessband-Dating“ nenne – und die Engländer „speed dating“ – wurde als Ausweg erfunden: Eine repräsentative Gruppe beider Geschlechter, mit Psychoprofilen ausgerüstet, treffen sich in einem festlichen Saal. Jeder und jede hat 5 Minuten Zeit zum Gespräch zu zweit. An solchen Anlässen können bis zu 2 Dutzend potenzielle Partner abgefertigt werden. Anschliessend wird die Ausbeute analysiert. Bis dann wurde viel Alkohol konsumiert, was der „Anneliese“ schlecht bekommt.
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Alles Gute kommt aus Amerika, zum Beispiel auch der moderne Ehekontrakt. (Im Osten gibt es auch so etwas, doch ist diese Vereinbarung nicht mit dem amerikanischen Modell vergleichbar.) In diesem Ehevertrag wird festgehalten, wem was gehört, vom Geschirr und Möbel bis zum Auto, Hund und Haus. So können die Anwälte gleich zweimal einkassieren, einmal vor der Eheschliessung und dann nachher bei der Scheidung. Angenommen, die Ehe hat 3 Jahre gedauert, ist bis dann vielleicht der Hund gestorben, viel Geschirr zerbrochen, das Auto futsch, die Hypothek umgeschichtet. Neue Darlehen wurden inzwischen, ohne Nachträge im Ehekontrakt, aufgenommen. (An die Kinder wird kaum mehr gedacht.) Aber dies gehört ins Kapitel: „Wie Mann sich trennt und umgekehrt“.
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Die vor noch nicht so langem geächtete Kohabitation, verdrängt die Ehe nach und nach. Jetzt wird das Gesetz diesen neuen Verhältnissen angepasst. Das Sakrament der Ehe besteht zwar noch, aber überlebt vorwiegend in südlichen Gefilden.
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Es wäre schön, wenn es zur neuen Welle von Romantik käme und die Liebe wieder im Herzen pochen und klopfen würde. Ich bin froh, dass ich ein Romantiker geblieben bin – sozusagen ein versteckter.
 
Hinweise auf weitere Blogs zum Thema Liebe
21.09.2005: „Das ‚Kehrspiel der Liebe’: Stalker oder Pirschjäger“
20.06.2005: „Von der Nazi-Propaganda bis zum Sexrummel heute“
03.05.2005: „Mutterliebe bewegt das englische Gemüt“
24.01.2005: „Literarischer Seitensprung zu ‚Madame Bouvary’“
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