Textatelier
BLOG vom: 20.01.2006

Biofachhandel-Zukunft: Discounter bauen Biomarken aus

Autor: Heinz Scholz
„Discounter setzen Reformhäuser unter Druck“ oder „Die grössten Absatzmöglichkeiten für Bio-Waren bieten Discounter“ oder „Preiskampf sorgt bei den Anbietern von Gesundheitswaren für Umsatzrückgänge – Zahl der Geschäfte rückläufig“. Dies waren einige Schlagzeilen aus der letzten Zeit.
 
Durch solche Meldungen wurden viele Besitzer von Reformhäusern, Drogerien und Naturkostläden aufgeschreckt. Was ist dran an solchen Berichten? Wie sieht die Zukunft des Biofachhandels aus? Durch welche Strategien können sich Besitzer von Reformhäusern und anderen Einkaufsstätten für Öko-Lebensmittel zur Wehr setzen? Alle diese Fragen versuche ich in diesem Blog zu beantworten.
 
Bio-Waren waren bisher in Reformhäusern, Naturkostläden, Drogerien und direkt beim Verbraucher zu bekommen. Kein Supermarkt hatte Interesse an diesen Produkten. Plötzlich erfolgte ein Umdenken bei den Managern. Dies hatte einen Grund, aber was für einen! Da der Lebensmittelmarkt ausgereizt ist und sehr wettbewerbsintensiv ist, sind kaum grössere Steigerungsraten zu erwarten. Die Manager von Discountern wussten jedoch einen Ausweg. Sie entdeckten die Bio-Produkte für ihr Geschäft. Denn durch Bio-Waren lassen sich heute noch gehörige Umsatzzuwächse gewinnen. Nach Expertenmeinungen sind durchschnittliche jährliche Steigerungsraten von 6 % zu erwarten.
 
Achim Egner, Vorstandssprecher der Rewe-Gruppe, äusserte in einem Interview mit Armin E. Möller von der „Badischen Zeitung“ am 3. Januar 2006: „Bio ist so ein Thema, das verstärkt angegangen werden muss. Dazu muss man geeignete Standorte finden, in denen spezielle Bio-Supermärkte Sinn machen. Dabei spielt der zwangsläufig höhere Preis bei biologisch erzeugten Lebensmitteln auch eine Rolle. Wir sehen hier durchaus Chancen und haben dank eines umfangreichen Sortiments an Bio-Produkten Erfahrungen gemacht...“
 
Der Discounter Plus mit seinen mehr als 2750 Filialen hat mit Abstand das breiteste Bio-Sortiment in Deutschland. Ein Novum: Der Discounter bietet erstmals biozertifizierte Fleisch- und Wurstwaren an. Wer sich für die Preise interessiert, hier sind sie: Bio-Mortadella ist für 99 Cent zu haben, während dieselbe Menge (100 g) Salami 1,49 Euro kosten. 400 g Rinderhackfleisch sind schon für 1,89 Euro zu bekommen (laut www.kompaktnet.de).
 
Bio-Supermärkte mit starkem Wachstum
Seit einigen Jahren wachsen so genannte Bio-Supermärkte wie Pilze aus dem Boden. Im Jahre 2000 gab es in Deutschland erst 50 Bio-Supermärkte, 5 Jahre später waren es schon 250. Und bis 2007 werden etwa 350 erwartet.
 
„Heute zählen die Bio-Supermärkte zu den am schnellsten wachsenden Absatzkanälen für Bio-Ware, und sie erwirtschafteten im Jahre 2002 bereits einen Fünftel des Gesamtumsatzes im Naturkosthandel“, berichten die Autoren der Arbeit „Die Zukunft des Bio-Fachhandels“.
 
Naturkostfachgeschäfte (2000 in D) haben einen Umsatzanteil am Bio-Markt von 26,1 %, Reformhäuser (2300 in D) um 6,9 % und Bio-Supermärkte (250 in D) von 5,1 %.
 
Interessant ist das durchschnittliche Sortiment. Je nach Anbieter (Edeka, Metro, Rewe, Tengelmann, Karstadt) befinden sich zwischen 200 und 800 verschiedene Artikel in den Regalen. Die Schweizer Genossenschaft Migros hält sogar 1000 Bio-Produkte für ihre Kunden bereit.
 
Auf ihre Stärken besinnen
In einem Bericht vom 19. September 2003 in der Zeitung „Die Welt“ riet die Geschäftsführerin des Hamburger Reformhauses, Engelhardt Agnes Wiebicke, Folgendes: Die Reformhäuser sollten sich „wieder mehr auf ihre Stärken besinnen.“ Diese Stärken liegen im Service und der Beratung. Ausserdem sollten sie versuchen, von ihrem verstaubten Image wegzukommen. „Wir brauchen attraktiv eingerichtete Geschäfte in guten Lagen, die möglichst eine Fläche von mehr als 120 Quadratmetern haben sollten.“ In den meisten ihrer 11 Filialen hat sie das bereits verwirklicht.
 
Die Erweiterung ist dringend nötig, liegt doch die derzeitige Ladengrösse bei zirka 70 Quadratmetern. In Naturkostfachgeschäften beträgt diese zwischen 100 und 200 und in Bio-Supermärkten zwischen 200 bis 1000 Quadratmetern.
 
Die Verkaufsflächen in den Reformhäusern und sonstigen Bio-Läden sind in der Umgebung meines Wohnortes Schopfheim D relativ klein. Da bleibt wenig Platz, um Broschüren, Bücher, Zeitschriften und Werbematerial günstig zu platzieren. Oft fristen diese ein Schattendasein unter oder hinter dem Ladentisch.
 
Birgit Heerlein, Inhaberin des Reformhauses in Neugraben, ist der Auffassung, Reformhäuser könnten noch mehr für die Qualität ihrer Produkte werben. So könnten sie durchaus darauf hinweisen, dass die billigen Vitaminpillen aus der synthetischen Produktion stammen und die etwas teureren im Reformhaus eben aus natürlichen Inhaltsstoffen bestehen. Dies ist beispielsweise bei den Vitaminen der Fall. So enthalten Vitamin-C-Präparate aus Acerola, Sanddorn, und Hagebutten nicht nur natürliches Vitamin C, sondern auch Bioflavonoide und andere Begleitstoffe, die auch eine Wirkung entfalten. Auch ist der synergistische Effekt von Bedeutung.
 
Bestimmte Zutaten sind in Bio-Produkten tabu
Oder nehmen wir das Brot: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es beispielsweise in Reformhäusern ausgezeichnete Vollkornbrote gibt. Zutaten wie Farbstoffe (Malz, Zuckerkuleur), Emulgatoren und Konservierungsstoffe sind in diesen Broten nicht zu finden. In so manchen Broten der Supermärkte entdeckte ich dagegen diese Zusatzstoffe. Der unaufgeklärte Kunde bringt meistens dunkles (gefärbtes) Brot oder ein Brot mit Körnern auf der Kruste mit „Vollkornbrot“ in Verbindung. Hier wird der Konsument eindeutig getäuscht.
 
Oder ein anderes Beispiel: Im Puddingpulver aus dem Reformhaus sind natürliche Zutaten ohne Farbstoffe, während Pudding aus dem Supermarkt in der billigen Variante die synthetischen Farbstoffe Chinolingelb und Gelborange und in der etwas teureren Version synthetisches Lactoflavin und Beta-Carotin enthält. In Bio-Produkten wie Puddingpulver oder Vanillejoghurt ist echte Vanille vorhanden, während in herkömmlichen Waren oft synthetisches Vanillin ist oder in der erwähnten teuren Puddingvariante „natürliche Aromen“ anzutreffen sind.
 
Auch die „Hasel-Nougat-Creme“ mit 25 % Nussanteil aus dem Reformhaus hat Qualitätsvorteile. Sie weist doppelt so viel Haselnüsse auf wie in den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs gefordert wird. Das muss der Verbraucher wissen. Er zahlt zwar mehr als für die im Lebensmittelhandel in riesigen Mengen und mit kostspieligen Werbemassnahmen angebotenen herkömmlichen Cremes*, aber er bekommt dafür unvergleichliche Geschmackserlebnisse geliefert. Die Creme aus dem Reformhaus verwende ich immer wieder zur Herstellung von gesundem Konfekt (siehe Rezept „Nuss-Haferflocken-Kugeln mit Espresso“ in der Glanzpunkte-Arbeit „Von nun an war ich ein Niemand“). So eine Creme schmeckt nach Nuss und nicht nach Fett mit künstlichen Aromastoffen.
 
Die erwähnte Meinung von Birgit Heerlein vertritt auch eine mir gut bekannte Reformwaren-Fachverkäuferin (sie möchte nicht namentlich genannt werden). Sie sieht in der Beratung das grösste Plus. Nach den Skandalen in der Lebensmittelindustrie hat sie jetzt immer gute Argumente zur Hand, wenn es um Preise, Qualität, Rückstände, Zusatzstoffe, Gentechnik und Bestrahlung geht. Bio-Produkte haben viele Vorteile, wie ich in meinem im Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein, erschienenen Buch „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag) ausführlich dargestellt habe. Fakten aus diesem Buch kann die Fachverkäuferin, wie sie betont, jetzt zur Kundenberatung gut gebrauchen.
 
Exzellente Beratung ist wichtig
Es gibt immer wieder Kunden, die sich in ihrem Reformhaus beraten lassen, und dann zum Discounter gehen. Manche Kunden sind so frech und sagen der Beraterin ins Gesicht: „Das bekomme ich aber beim Discounter oder über das Internet billiger.“ Sie lässt sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen und berät trotzdem jeden Kunden. „Vielleicht kommt doch einmal der eine oder andere in ihr Geschäft, wenn er eines Tages aufgeklärt und kritisch genug ist“, sagte sie kürzlich in einem Gespräch mit mir.
 
Nach meiner Meinung ist eine exzellente Beratung wichtig. Der Kunde muss sich heute informieren, damit er weiss, in welches Geschäft er gehen muss, um gesunde Lebensmittel und auch natürliche Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen. Dieses Wissen ist für seine Gesundheit von eminenter Bedeutung. Besonders schätze ich in solchen kleinen Läden die Atmosphäre, das Gespräch mit den Fachverkäuferinnen und Kunden, von denen ich schon viele kenne, da sie regelmässig dort einkaufen. Alle diese Dinge kann mir kein Supermarkt bieten.
 
Nachtrag: Merkwürdige Testergebnisse
* Merkwürdigerweise erhielten solche Massenprodukte von diversen Testzeitschriften ein „sehr gut“ („Ökotest-Jahrbuch“ 2004). Dazu teilte mir Walter Hess Folgendes mit: „Wenn Massenindustrieprodukte zu gut abschneiden, ist das ein Schlag gegen kleinere Anbieter, die sich mehr Mühe geben. Ich habe solche unverzeihlichen Patzer auch schon bei der Bewertung von Naturheilprodukten festgestellt – weil bei den Testern oft das schulwissenschaftliche Denken vorherrscht. Und die Wissenschaft wird mit Qualitätsaspekten, die ausserhalb des Messbaren liegen, nicht fertig.“
 
Dazu ein aktuelles Beispiel: Im neuesten „Öko-Test“ (Zeitschrift vom Januar 2006) zur Wirksamkeit von Echinacea-Präparaten (Testurteil: „Uneingeschränkt empfehlenswert ist kein einziges Produkt“) wiesen jetzt Fachleute gravierende Fehler sowohl in der Studie, auf die sich der Autor bezog, als auch in der Beurteilung der Präparate nach. Über diesen Fall werde ich in einem weiteren Blog berichten.
 
Quellen
„Die Zukunft des Bio-Fachhandels“ (Eine Befragung von Bio-Intensiv-Käufern), BMBF-Forschungsprojekt „Von der Agrarwende zur Konsumwende?“ Autoren: Achim Spiller, Julia Engelken und Sabine Gerlach (http://www.sozial-oekologische-forschung.org).
 
Weitere Infos zum Thema Biofachhandel (Google-Suchmaschine) oder unter:
www.welt.de (Discounter setzen Reformhäuser unter Druck)
www.kompaktnet.de (Discounter: Plus mit breitestem Bio-Sortiment in Deutschland).
 
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