Textatelier
BLOG vom: 23.01.2006

Warum wir Männer das WC niemals genau treffen können

Autor: Walter Hess¨
 
Unsere verehrte Damenwelt hat in der Regel wenig Verständnis für physikalische Zusammenhänge. Das macht sie nicht weniger sympathisch, hat aber die unangenehme Nebenwirkung, dass ihre Angehörigen gewisse Alltagserscheinungen mit dem besten Willen nicht verstehen können. Die Rede ist hier, unumwunden gesagt, vom männlichen Urinieren, vor allem aber von der damit verbundenen Zielungenauigkeit.
 
Nehmen wir als Beispiel die Schweizer Männer, die wir samt und sonders in der Lage sind, mit unserem im Schrank gelagerten Karabiner oder Sturmgewehr ein kleines, schwarzes Rund auf der Zielscheibe aus einer Distanz von 300 Metern in der Mitte zu treffen. Doch die WC-Schüssel treffen wir bekränzten Meisterschützen aus einer Distanz von 30 cm nicht. Das klingt unglaublich, kann aber von jeder Hausfrau nur lebhaft bestätigt werden. Dabei trainieren wir Männer dieses Zielen täglich mehrmals, im höheren Alter auch nachts. Beim Schiessen im Schützenstand liegen wir, beim Wasserlösen aber müssen wir stehen, was unsere Stabilität bereits leicht beeinträchtigt. Aber diese Erklärung allein genügt noch nicht, um das Verfehlen des Ziels in der Toilette zu erklären, wenn nicht zu rechtfertigen. (Es geht hier vor allem um die Rechtfertigung.)
 
Man kann den im Normalfall äusserst beweglichen männlichen Penis mit einer Brunnenröhre vergleichen, auch wenn dieser Vergleich wegen der unterschiedlichen Materialien und Materialeigenschaften natürlich hinkt beziehungsweise schräg in der Landschaft hängt. Aber beide geben einen Strahl von sich. Beim Brunnen fliesst er meistens in einem leichten, gleich bleibenden Bogen nach unten. Und so lange der Wasserdruck unverändert bleibt, trifft er immer an der gleichen Stelle auf dem Untergrund auf, ob das nun ein Boden oder eine Wasseroberfläche sei. Ein leichtes Spritzen aber ist nicht zu vermeiden, wie genaue Beobachtungen lehren. Im Toilettenbereich wird dieses Spritzwasser durch die Wände der Toilettenschüssel bereitwillig aufgefangen.
 
Nun machen Sie bitte einmal den Versuch und schalten die Flüssigkeitszufuhr zu einer handelsüblichen Brunnenröhre aus, wenn nötig mit Hilfe des örtlichen Brunnenmeisters. Es tröpfelt dann noch etwas senkrecht hinunter, und bald einmal ist der letzte Tropfen gefallen. Jetzt schalten Sie die Wasserzufuhr wieder ein: Zuerst spritzt das Wasser in unregelmässigen Abständen vorwärts und rückwärts, bis sich Druck und Ausfluss einreguliert haben. Es ist durchaus zweckmässig, diesen Vorgang auf die Einleitung des männlichen Wasserlösens zu übertragen, zu dem allerdings noch ungeahnte zusätzliche Schwierigkeiten hinzukommen: Am Anfang ist der Druck unendlich hoch, und er nimmt dann mehr oder weniger kontinuierlich ab, verflacht sich allmählich. Das bedeutet mit anderen Worten, dass das Zielen in jedem Moment dem sich verändernden Druck angepasst werden muss.
 
Doch das alles ginge noch. Ein geradezu virtuoses Kunststück ist es, den anfänglich überhöhten Druck, der sich daraus erklärt, dass die Harn-Samen-Röhre durch den Urindruck zuerst einmal geöffnet werden muss, einzuberechnen. Da der Penis seine Grösse je nach Lebenslage und sogar nach Temperatur ständig ändert – man denke an die winterliche Kälte! –, gibt es dafür keine simple physikalische Formel von der Einfachheit der Einstein’schen Relativitätstheorie.
 
Aus meiner über 69-jährigen Erfahrung im Urinieren heraus darf ich hier feststellen, dass jedes Wasserlassen ein einmaliger, ja einzigartiger Vorgang ist. Es ist praktisch nicht möglich, die ersten Tropfen genau zu platzieren, und mögen die Pissoirbauer noch so schöne Fliegenabbildungen in den Zenith ihrer schwungvoll designten Porzellanwunder einbrennen lassen. Wenn das Ziel mit der Zeit getroffen ist, lässt die Strahlstärke nach. Jeder Wendrohrführer der örtlichen Feuerwehren kann von solchen Beobachtungen ein Lied singen. Aber davon wird leider kaum gesprochen.
 
Mein Expertenstatus hin oder her: Selbstverständlich ist die Sache hier in sträflicher Vereinfachung dargestellt, indem die oft entscheidende Rolle der Vorhaut bisher konsequent ausgeklammert worden ist. Dabei ist es gerade sie, die einem Mann, der das Ziel konzentriert und pflichtbewusst anpeilt, eine üble Rolle spielen kann. Ist der Penis (etwa bei sibirischer Kälte) zu einem Häufchen Elend geschrumpft und wird die Vorhaut irrtümlicherweise nicht genügend weit zurückgezogen, übernimmt sie die Funktion einer Brause; es ergibt sich also eine Art Giesskannenprinzip, das nicht einmal in der Politik den besten Ruf geniesst. Bei genügend Druck kann sich dadurch ein eigentliches Zerstäuben einstellen, wie man das von Druckflaschen kennt, die in der Malerei Verwendung finden und die in Baumärkten zu haben sind. Ich erwähne dies als Hinweis für Experimentierfreudige.
 
Zieht man die Vorhaut aber kräftig genug zurück, kann durch den Fingerdruck die Harnröhre verengt werden. Und zu eigentlichen Stauungen mit den entsprechenden Druckerhöhungen kann es auch kommen, wenn der Hosenschlitz flüchtigkeitshalber nicht bis auf die nötige Tiefe geöffnet wurde und das Glied durch den obersten, nicht geöffneten Knopf oder den Reissverschlussgriff schmerzhaft nach oben gedrückt wird. Das gehört urinierungstechnisch zu den eigentlichen Ausnahmesituationen, ähnlich dem sitzenden Urinieren, bei dem die Röhre nach unten abgebogen oder gar abgewinkelt werden muss.
 
Und kann denn die Lösung im Sitzen zu finden sein, wie unsereinem von der Damenwelt immer empfohlen wird? Dann wären Millionen von Pissoirs überflüssig. Wer sitzt denn schon auf einen Holz- oder Plastikring mit seinen Bakterienkulturen ab, wenn gewisse Tagesgeschäfte aus sicherer Distanz und vollhygienisch erledigt werden können? So weit lassen wir uns nicht hinunter. Wir Männer würden das zudem als Angleichung der Geschlechter betrachten, eine Störung des Yin-Yang-Prinzips sozusagen, das von Gegensätzen lebt. Gerade im Zeitalter des Feminismus wäre ein weiteres Abrücken von maskulinen Ausprägungen das Verhängnisvollste, was man sich vorstellen kann.
 
Wir müssen den Mehrfrontenkampf ein Leben lang unter wechselnden Randbedingungen weiterführen. Wir sind nicht zu beneiden. Wie ich mir sagen liess, kann auch die mit dem Alter etwas anwachsende Prostata, die den Anfangsteil der Harnröhre umschliesst, die Durchflussverhältnisse beeinträchtigen (die Harnröhre verengen); dann kumulieren sich die Einflüsse in geradezu dramatischer Weise. Und wenn zudem noch Ärzte an der Vorsteherdrüse herumdrücken und -pfuschen, läuft manch einer nachher mit Windeln herum. Aber wenigstens sind diese Pampers so gross, dass sie leicht zu treffen sind.
 
Jeder des Urinierens kundige Mann weiss, das die Situation in der Praxis wesentlich komplizierter ist, als es hier dargestellt wurde. Im Freien kommen noch die Notwendigkeit des Pissoirgriffs zur Verunmöglichung des Voyeurismus und die Berücksichtigung der Windverhältnisse hinzu. Wer schon einmal bei Sturmwinden sein Wasser im Freien löste, weiss, dass bei solchen Gelegenheiten kein Hosenbein trocken bleibt, Regen hin oder her.
 
Ich möchte es aber damit bewenden lassen, um die über diesen Artikel geneigten Damen mit technischen Einzelheiten nicht zu überfordern. Es genügt vollauf, wenn sie beim Anblick einer WC-Schüssel-Umgebung in Zukunft nie mehr aus einem Überlegenheitsgefühl, das sich aus ihrer vollkommen anderen Konstruktion heraus ergibt, in vorwurfsvollem Ton ausrufen „Chasch denn nöd besser ziile!“ („Kannst du denn nicht besser zielen!“). Denn das wäre eine bodenlose Ungerechtigkeit, ja eine Zumutung ihrem Partner gegenüber, an der schon ganze Ehen zerbrochen sind. Die Damen des Hauses sollten sich vielmehr an dieses Blog erinnern und je nachdem differenziert feststellen: „In Anbetracht des mir bekannten hohen Schwierigkeitsgrades hast Du die Schüssel noch verhältnismässig gut getroffen.“ Der Mann wird strahlen – diesmal übers ganze Gesicht.
 
So etwas stellt auf und animiert zu höheren, trefflicheren Leistungen. Wobei die Möglichkeiten selbstverständlich begrenzt sind. Gewisse physikalische Gesetze können mit dem besten Willen nicht aus der Welt geschafft werden.
 
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