Textatelier
BLOG vom: 24.01.2006

Der Auto-Grössenwahn scheitert jetzt an der Zapfsäule

Autor: Walter Hess
 
In überraschend viel globalisierten, handygeschädigten Hirnen ist der Begriff „Wachstum“ zu einer verkrusteten Grösse geworden. Nur was (wenn möglich in den Himmel) wächst, hat Zukunft, steht im eingebläuten Programm, auch wenn jede Vernunft dagegen spricht.
 
Vom Wachstumskult waren selbstredend auch die amerikanischen Autobauer erfasst. Sie konstruierten immer grössere benzinfressende Schurkomobile für den Hausgebrauch, hochbeinige Allradkombis, die wegen des hohen Schwerpunkts zwar gern abrupt umfallen und den Überrollschutz gut gebrauchen können, aber dennoch als geländetauglich gelten. Die riesigen, schweren Geländewagen, für die seit den herkömmlichen Jeeps auch in Kriegsfilmen Reklame gemacht wird, galten auch für den Ford-Gründer-Enkel Bill Ford, der zurzeit am Steuer ist, als „Driving American Innovation“ – als die amerikanische Marke schlechthin. Es ging also in der Regel um Protzentum und kaum um einen Einsatz in schneereichen bergigen Holper-Regionen, sondern um Sportwagen (SUV = Sport Utility Vehicle) oder Familienlimousinen, sozusagen ein Einfamilienhäuschen auf 4 einzeln angetriebenen Rädern für die Freizeit, die kaum Gelegenheit haben, unter athletisch-skulpturierten Kotflügeln im Morast zu wühlen.
 
Die enormen Erdölmengen, die diese bulligen Protze in klimaschädigende Abgase umwandeln, wollen sich die US im Rahmen von Eroberungskriegen sichern. Nach dem Irak ist demnächst der Iran dran, der mit fadenscheinigen Argumenten bereits zum Schurkenstaat erklärt wurde, in Verdrehung von jeder Vernunft. Denn wo unter Angreifern und Angegriffenen die Schurken zu orten sind, liegt auf der Hand.
 
Den Krieg gegen den Irak haben die USA (ebenso wie den Vietnamkrieg und den Angriff auf Kuba) verloren, und ob die irakischen Erdölfelder von ihnen auf Dauer zu halten und auszubeuten sein werden, steht in den Abgaswolken, welche den Horizont zusätzlich verdüstern. Unter anderem deshalb kam es zu einem starken Anstieg der Treibstoffpreise, sogar in den USA. Das mobil gemachte, in Gallonen denkende Volk, dem der Fahrspass jeweils beim Volltanken abhanden kommt, erkannte das schneller als die globalisierten Autobauer. Es sah sich notgedrungen nach sparsameren Vehikeln um, vor allem der Portemonnaie- bzw. Purse-Schonung wegen. Die Manager der riesigen Autoindustrie hatten im Hinblick auf die Auslastung der bestehenden enormen Produktionskapazitäten gerade anderes zu tun als über Treibstoffpreise und Umweltschutz nachzudenken, und so sie hielten an einer grundfalschen Modellpolitik fest. Die Unbeweglichkeit und Schwerfälligkeit sind schliesslich auch bezeichnende Aspekte des globalisierten Grössenwahns.
 
Wer bei diesen Vorbedingungen Vernunft und Voraussicht walten lässt, kann neue Massstäbe setzen. Das taten die Asiaten, insbesondere die Konstrukteure von Toyota. Dieses Unternehmen hatte schon 1977 den von der Fachwelt ursprünglich belächelten Hybridantrieb entwickelt und 20 Jahre später, 1997, in die Serienproduktion gebracht. Hybridautos haben einen Benzin- und einen Elektroantrieb ohne Einschränkung der Zuverlässigkeit – im Gegenteil. Beim Wegnehmen des Gases oder beim Bremsen holt der Toyota Prius einen Teil der Energie, die üblicherweise vernichtet (in Wärme umgewandelt) wird, wieder zurück und lagert sie in die Batterie ein. Und diese Batterie übernimmt das Anfahren und das Stau-Fahren, was zu enormen Energieeinsparungen führt; der Banzimotor muss dann nicht immer leer drehen. Der Mittelklassewagen Prius kommt mit etwa 4,3 l Benzin auf 100 km aus.
 
Ich habe am 14. Dezember 2005 einen solchen Prius bestellt – die Lieferfrist beträgt etwa 6 Monate. Ein grosser Ford-Geländewagen oder ein Pickup wären ab Halde sofort zu haben. Auch die GM-Modelle kommen ohne Wartefristen aus ... Die Produktionskapazitäten sind bei Toyota mehr als ausgelastet. Ford aber hat am 23. Januar 2006 den Abbau von rund 30 000 (von insgesamt rund 123 000) Stellen und die Schliessung von 14 Werken in Nordamerika innert 4 Jahren bekannt geben müssen. Beschönigendes Motto: „Way Forward“ (Weg vorwärts).
 
Die Börsianer jubelten. Die Ford-Aktien, die insgesamt noch rund 16 Milliarden Dollar wert sind, erholten sich etwas. Die Toyota-Aktien haben vergleichsweise einen Gesamtwert von 167 Milliarden Dollar.
 
Das amerikanische Modell im umfassenden Sinne, dem wir so gern erliegen (ohne mich), kann die Überrollbügel gut gebrauchen. Ob wenigstens sie funktionieren?
 
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