Textatelier
BLOG vom: 24.08.2007

Museum: Riesenstrausse, Mördermuscheln, Quagga u. Dodo

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als am Dienstag, den 21. August 2007, das Nass in Strömen vom Himmel regnete, entschlossen wir uns (Toni, Jürgen und ich), nicht in einer reizvollen Landschaft zu wandern, sondern das Naturhistorische Museum in Basel (www.nmb.bs.ch) zu besuchen. Dieses Museum, das schon seit 300 Jahren vielfältige und wertvolle Sammlungen erforscht und bewahrt, kannte ich schon von diversen früheren Besuchen. Unvergessen blieb mir die 2003 präsentierte Saurier-Ausstellung.
 
Das Museum bietet immer wieder Sonderausstellungen an, aber auch öffentliche Führungen und Veranstaltungen. Es ist auch an verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsprojekten von nationaler und internationaler Bedeutung beteiligt. Zurzeit sind 2 Ausstellungen beachtenswert. Die eine ist dem Universalgenie und Mathematiker Leonhard Euler (1707–1783) anlässlich seines 300. Geburtstags gewidmet, die andere Ausstellung ist als „Theo, der Pfeifenraucher“ betitelt. Sie zeigt das Schicksal eines Kleinbaslers. Darüber später etwas mehr.
 
Das Naturhistorische Museum hat in seinen Archiven insgesamt 7,7 Millionen Objekte. Nur ein Teil davon ist ausgestellt. Aber es gibt noch genügend zu sehen, so Säugetiere, Fische, Reptilien, Vögel, Amphibien der Schweiz und aus aller Welt, Fussspuren der Dinosaurier, Mammutzähne, Schmetterlinge. Seit 1997 befindet sich auch die berühmte Käfersammlung Frey in diesem Museum.
 
Besondere Höhepunkte waren für mich die faszinierende Welt der Mineralien und Versteinerungen, das Skelett einer 5 m langen Netzphyton (das Skelett besteht aus zirka 400 Wirbelknochen!), die Stosszähne ausgestorbener Elefanten, das Modell eines Mammuts, Seesterne vom Weissenstein (Sandkalkbank mit Pentasteria longispina Hess; da musste ich unweigerlich an unseren Walter Hess denken, obschon er damit nichts zu tun hat), die Meteoritensammlung und die Präsentation der bedrohten und ausgestorbenen Tiere.
 
Die Riesenmuschel ist keine „Mördermuschel“
Wenn man am Eingang des Museums nach der Bücherpräsentation links geht, kommt man an 2 Besonderheiten vorbei. Die eine sind weisse Korallen vom Great Barrier Riff, die 1938 ins Museum kamen. Die andere Besonderheit besteht aus 2 Riesenmuscheln (Tridacna gigas) von je 1 m/8cm bzw. 1m/6 cm Länge und einem Gewicht von 101 bzw. 102 kg. Diese wurden 1903 dem Museum gespendet. Die Muscheln stammen vom Korallenriff „de Bril“, das sich südlich von Makassar in der Java See befindet.
 
Wie ich in Erfahrung brachte, erreichen solche Muscheln mit der gewellten Schale eine Länge von 140 cm. Sie bringen bis 200 kg auf die Waage. Diese Muscheln ernähren sich von pflanzlichen und tierischen Kleinstlebewesen (Plankton).
 
Die Muschel wurde zu Unrecht als „Mördermuschel“ bezeichnet. So wurden laut den Schauergeschichten, Beine von Tauchern eingeklemmt und kamen nicht mehr frei. Zoologen widerlegten inzwischen die Mördermuschelgeschichten, weil sich die Schale langsam schliesst. Sollte das Bein eines Tauchers irrtümlich hineingeraten, hat er viel Zeit, um sich zu befreien.
 
Früher galten die Schliessmuskeln der Muschel in der chinesischen Küche als Leckerbissen. Die Schalen waren auch begehrte Sammelobjekte. Sogar als Taufbecken mussten die Riesenschalen herhalten. Inzwischen stehen die Tridacna-Arten unter Naturschutz. Sie dürfen nicht getötet und gehandelt werden.
 
Das Ei des Riesenstrausses
Besonders interessant fand ich die Präsentation von verschieden grossen Eiern. Das grösste Ei stammte vom Madagaskarstrauss (Aepyornis medius). Diese Riesenstrausse lebten noch im 17. Jahrhundert, vermutlich in 3 Arten, auf dieser Insel. Die grössten dieser Tiere dürften ein Gewicht von 1000 kg erreicht haben. Sie wurden 3 m hoch. Ihre Eier wogen bis zu 12,5 kg. Das in Basel ausgestellte 1,6 kg schwere Ei (Schalengewicht) stammt von einer mittelgrossen Art. Es misst 29,7 x 22,1 cm. Ein solches Ei entspricht volumenmässig etwa 7 Strausseneiern.
 
Interessant ist, dass das relative Eigewicht (= Eigewicht in Prozent des Körpergewichts) mit zunehmendem Körpergewicht abnimmt. So betrug das relative Eigewicht des Madagaskarstrausses 1 %, beim Mäusebussard beträgt es 7 %, beim Sperber 10 % und beim Flussuferläufer 27 %.
 
Spektakulär war auch das Präparat eines Riesengürteltiers (Priodontes giganteus). Dieses nachtaktive Tier erreicht ein Gewicht von 50 kg. Es ernährt sich von Termiten, deren Bauten es mit den starken Krallen aufgräbt. Das wusste wohl keiner der Besucher: Sein Schwanz wird von den Eingeborenen als Sprachrohr verwendet.
 
Quagga und Dodo
Nachdenklich stimmte mich die Präsentation der ausgestorbenen Vogelarten. Was der Mensch hier angerichtet hat, geht nicht mehr auf die berühmte Kuhhaut. Er zerstörte den Lebensraum so vieler Vögel, verfolgte oder verdrängte so manche Arten durch eingeführte Haustiere. Auch Ratten waren an der Dezimierung beteiligt. In den letzten 500 Jahren sind 128 Vogelarten (ab 1800 waren es 103 Vogelarten) ausgestorben. Drei Viertel davon waren Inselvögel. Heute stehen weitere 108 Vogelarten am Rande des Aussterbens. Schuld an der Misere ist heute das unglaubliche Abholzen der Tropenwälder, das einfach nicht zu stoppen ist.
 
Die in Basel gezeigten Präparate sind zum Teil in Lebendstellung präpariert worden, zum Teil wurden sie zu Bälgen für die wissenschaftliche Sammlung verarbeitet.
 
Mein besonderes Interesse galt dem Dodo, der früher auf der Insel Mauritius lebte. Der Vogel hatte keine Feinde. Er war nicht flugfähig und wurde zu einem plumpen Fussgänger von Truthahngrösse. Holländische Seefahrer fanden hier eine bequeme Beute. 1662 wurden die letzten Dodos umgebracht.
 
Die Rekonstruktion in Lebendgrösse geschah nach Vorbildern aus zeitgenössischen Darstellungen.
 
Zum ersten Mal sah ich einen Quagga, eine südafrikanische Steppenzebraart. 1878 wurde der letzte Quagga in freier Wildbahn erschossen. Der letzte seiner Art starb am 12.8.1883 im Zoo von Antwerpen. Weltweit gibt es nur noch 23 Präparate. Eines davon konnte ich hier bewundern.
 
Die Evolution des Menschen
Nach gängiger wissenschaftlicher Meinung trennten sich vor 8 Millionen Jahren die Entwicklungslinien der Urmenschen und der Menschenaffen. In einer Vitrine ist seit Neuestem die Evolution des Menschen mit Schädeln und faszinierenden Rekonstruktionen die Entwicklung des Menschen dargestellt. Die Büsten von der Lucy, vom Neandertaler und vom Homo erectus sind lebensecht dargestellt. Man sah vor der Vitrine einige Besucher sitzen, die ehrfurchtsvoll unsere Vorfahren betrachteten.
 
Man erfuhr, dass sich der moderne Mensch, der Homo sapiens, vor 200 000 Jahren über den Homo erectus entwickelt hat. Vor 100 000 Jahren verliess der Homo sapiens Afrika und verbreitete sich über die ganze Welt. Die Besucher erfuhren auch, dass vor 30 000 Jahren der Neandertaler (Homo neanderthalensis) aus unbekannten Gründen ausstarb.
 
Theo, der Pfeifenraucher
Im Hochparterre des Museums wird die Ausstellung über das Schicksal eines Kleinbaslers aus dem 19. Jahrhundert eindrucksvoll präsentiert. Hier die Museums-Information: „Anhand seiner Knochen haben Wissenschaftler mit anthropologischen und forensischen Methoden das Aussehen, den Gesundheitszustand und sogar seine persönlichen Gewohnheiten rekonstruiert und in die Gegenwart zurückgeholt. Vor dem historischen Hintergrund erscheint das Bild eines schmächtigen, etwas kränklichen Mannes, der bereits in jungen Jahren intensiv Tonpfeife geraucht hatte und als Kind oft hungern musste.“
 
Theo stammte aus einem alten kleinbaslerischen Friedhof bei der Theodorskirche, wurde etwa 37 Jahre alt und 1,70 m gross. Die Zähne verraten, dass er mehrere Stressphasen durchlebte und auch eine Hungersnot durchgemacht hat. Eine Krebserkrankung führte zu seinem Tod.
 
Wie erkannte man, dass er ein Pfeifenraucher war? Nun, die Forscher entdeckten in seinem Gebiss 2 kreisrunde Lücken, die durch das jahrelange Rauchen mit dieser Pfeife mit dem tönernen Mundstück verursacht wurden.
 
Das Gesicht wurde mit Hilfe der plastischen Gesichtsrekonstruktion dreidimensional zum „Leben“ erweckt.
 
Eine Bereicherung
Der Museumsbesuch war wiederum für mich eine Bereicherung. Ich entdecke bei solchen Besuchen immer wieder Neues, Unwahrscheinliches und Phänomenales. Das erkennen zum Glück immer mehr Menschen. So ist es kein Wunder, dass 2006 insgesamt 62 755 Museumsbesucher gezählt wurden. Allein die Sonderausstellung „Energie aus der Tiefe“ zog 24 819 Menschen an. In der Museumsnacht 2006 gingen 8507 Interessierte in die Hallen des Museums. 748 Schulklassen zog es in den Wissenstempel. Bei meinem Besuch war auch eine Mädchen-Schulklasse zugegen. Die Mädchen zeichneten Tiere (Schlangen, Frösche, Hasen) mit dem Bleistift. Es wurde dabei kräftig radiert, bis die Konturen stimmten.
 
Beachtlich waren auch die Zahlen der Führungen und Veranstaltungen (306) und die Besuche von Gastwissenschaftlern (212). Aber damit noch nicht genug: 69 wissenschaftliche Publikationen von Mitarbeitern wurden erstellt. 567 Objekte gingen als Leihgaben in andere Museen.
 
Einen besonderen Service bieten die Mitarbeiter des Museums an. Wer Mineralien, Fossilien oder Spinnen und andere unbekannte Tierchen bestimmt haben möchte, kann sich ans Museum wenden. Anfragen von Firmen sind kostenpflichtig.
 
Adresse
Naturhistorisches Museum Basel
Augustinergasse 2
CH 4001 Basel
Tel.: +41 61 266 55 00
Fax: +41 61 266 55 46
E-Mail: nmb@bs.ch
 
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10.00–17.00 Uhr
 
Eintrittspreise
Erwachsene CHF 7.–
Jugendliche bis 18 Jahre/in Ausbildung bis 26 Jahre: CHF 5.–
Kinder bis 13 Jahre gratis.
 
Infos im Internet
 
Veranstaltungen im September 2007
18.9.2007: „Goldkäfer & Co.“ (Führung in der Käfersammlung Frey)
20.9.2007: „Theo der Pfeifenraucher“ (Führung zur Ausstellung im Hochparterre)
 
Nächste Sonderausstellung
„Tiefsee“ vom 19.10.2007 bis 13. 04.2008
 
Hinweis auf weitere Blogs über Museumsbesuche
Hinweis auf weitere Blogs von Scholz Heinz
Auf Pilzpirsch: Essbare von giftigen Pilzen erkennen
Ein bärenstarkes Museum in Gersbach
Barfuss über die Alpen
Foto-Blog: Auf geht`s zur Hohen Möhr
Foto-Blog: Vom Kleinen Rhein zum Altrhein
Fotoblog über den Schönauer Philosophenweg
Rote Bete (Rande), eines der gesündesten Gemüse
Hermann-Löns-Grab im Wacholderhain
Lüneburger Heide: Salzsau und Heidschnucken
Kutschenmuseum in Wiechs ist ein Schmuckstück
Canna verleihen einen Hauch karibisches Flair
Artenreiche Streuobstwiesen stark gefährdet
Liebe zu den Kräutern in die Wiege gelegt
Eine Hütte mit Fleischsuppe im Namen
Rätsel um die Russenbänke in Präg gelöst