Textatelier
BLOG vom: 16.03.2008

Von Bibern, Biberfleisch, Bibergeil, Biberbauten und der Bibel

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Auf dem Bibersteiner Wappen sitzt ein Biber auf einem weissen Fels und nagt genüsslich an einem gelben Holzstück. Wir lassen ihn gewähren und akzeptieren auch, wenn seine Familienangehörigen drunten an der Aare mächtige Silberweiden umlegen. Die Bäume lassen wir im Fluss liegen und sind stolz auf die Anwesenheit und die Spuren unseres Wappentiers. Kein Bibersteiner redet in solchen Zusammenhängen von „Schaden“, weil ihn das beim Wissensstand von uns Eingeborenen sofort zum Banausen stempeln würde. Wir wissen: Biber sind grandiose Baumeister, und statt ihnen das Zahnwerk zu legen, bemühen wir uns, sie zu verstehen und von ihnen zu lernen.
 
Ausstellung in Solothurn
Als ich am Dienstagnachmittag, 11. März 2008, an der Fassade des Naturmuseums am Klosterplatz 2 in Solothurn in grossen Buchstaben aus Pressspanholz das Wort BIBER gelesen hatte, trat ich spontan ein und erweiterte mein Biberwissen anhand von Stopfpräparaten, Schrifttafeln und einem Film. Die Wanderausstellung, von den Naturmuseen Olten und Thurgau geschaffen und durchs Land geschickt, bringt es erfreulicherweise fertig, der aktiven Gestaltung des Biber-Lebensraums durch seine Bewohner höchst persönlich manches abzugewinnen, gewisse Ansichten ins richtige Licht rückend: „Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten profitieren von seinem Wirken: Das Fällen von Bäumen lichtet die Bestände und fördert die Pflanzenvielfalt am Boden. Insekten nutzen die Kräuter als Wirts- und Nahrungspflanzen. Das Anlegen von Dämmen schafft neue Wasserflächen, in denen Libellen, Wasserinsekten, Amphibien und selbst Fische leben können. Wo der Biber Gebiete wieder verlässt, verlanden seine Stauseen; es bilden sich Moore und schliesslich Feuchtwiesen“; man nennt diese denn auch Biberwiesen. Die scheuen, nachtaktiven Tiere bekommt man aber kaum zu Gesichte. Ich habe in Biberstein noch nie einen lebendigen Biber angetroffen, seine Spuren und regelrechte baumfällende Bibersteiner aber schon.
 
Landschaftsgestalter
Biber betreiben aktive Natur-Renaturierung, dem grandiosen, im Entstehen begriffenen Auenschutzpark Aargau ähnlich. Sie helfen also mit, 1 % des Kantonsgebiets in Auen zu verwandeln – und zwar auf mustergültige Art. Dass zu diesem edlen Zwecke halt einige Bäume gefällt werden müssen (Baumaterialbeschaffung), sollte auf Verständnis und nicht zu einer „Seldwila-würdigen Aufregung und Verbitterung“ führen, von welcher der Zürcher Tierschutz (www.zuerchertierschutz.ch) in seiner Broschüre „Biber weisen uns den Weg“ (Autor: Christian Speich) 2001 geschrieben hat. Die Panik, auf die sich diese Feststellung bezog, war ausgebrochen, weil die „flegelhaften“ Biber in Eglisau ZH ein paar Rebstöcke und Zierbäumchen nagend umgelegt hatten. Es könnte ja sein, dass die Eglisauer mehr Verständnis für das Egli als für den Biber aufbringen.
 
Im Moment gibt es wieder ähnlich lächerliche Diskussionen in den Medien über die Frage, ob man die Biberpopulation, die sich erfreulicherweise in den letzten Jahren etwas erholt hat, wieder, dezimieren müsse … in der Schweiz leben bloss etwa 500 bis 1000 Biber! Solche Diskussionen, die von einem geradezu verheerenden Naturunverständnis zeugen, betreffen ja auch den Wolf, den Luchs und den Bären – und neuerdings sogar die Gemsen (Gämsen) am Villiger Geissberg im Aargau, weil sie angeblich Schlangen und Eidechsen zertrampeln … Diese Tiere werden als Konkurrenten im Kampf um den Lebensraum empfunden und ziehen beim Zustand der geistigen Verwirrungen und dem Bewaffnungsgrad der Naturmanager selbstverständlich den Kürzeren.
 
Delikatesse für Katholiken
Früher war der Biber in der ganzen Schweiz ansässig; doch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurde er fast vollständig ausgerottet, in ganz Europa. Einen aktiven und höchst wirkungsvollen Beitrag zur Vernichtung der Biberbestände hatte die katholische Kirche geleistet, deren Geschichte ja nicht eben vom Bemühen um den Naturschutz im Allgemeinen und des Tierschutzes im Speziellen gekennzeichnet ist. Wäre von dieser Seite statt der Menschen-Vergottung wenigstens ein bisschen auf die Verehrung der Pflanzen und Tiere hingewirkt worden, gäbe es diese grausamen Auswüchse im Umgang mit Tieren und der Umwelt nicht, wie sie im Wirkungsbereich der Bibel-Religionen bis auf den heutigen Tag festzustellen sind.
 
Dem Europäischen Biber (Castor fiber), der als beliebte Delikatesse galt (1685 wurde in Augsburg eine „Castrologie“ mit mehr als 200 verschiedenen Rezepten publiziert), wurden insbesondere die christlichen Fastengebräuche zum Verhängnis. Weil in der Fastenzeit kein Fleisch gegessen werden durfte, wurde der Biber, das zweitgrösste Nagetier dieser Erde (gleich hinter dem südamerikanischen Wasserschwein, dem Capybara), seines abgeflachten Schwanzes („Kelle“) wegen von der Kirche schlicht und ergreifend zum Fisch erklärt, und Fische zu geniessen war den Fastenden erlaubt. Es sind im Prinzip die überlieferten Lügen, Verdrehungen und Mätzchen, mit denen auch die moderne Weltpolitik zu operieren pflegt, wenn irgendwo etwas abgeschossen oder eine Population dezimiert oder ausgerottet werden soll.
 
Die Kelle des Bibers dient als Warnanlage (bei Gefahr klatscht er damit aufs Wasser – er sollte das jetzt tun) und als Wärmetauscher. Im Sommer hält er seinen Schwanz ins kühle Wasser, damit sich unter dem dichten Fell (12 000 bis 23 000 Haare pro Quadratzentimeter; Menschenkopf: 300) kein Hitzeschlag einstellt. Die Kelle dient auch als Schwimmhilfe, Fettspeicher und Stütze beim Sitzen. Und genau dieses Mehrzweckinstrument wurde dem Tier zum Verhängnis. Der Jesuitenpater Charlevoix brachte folgende rabulistische Definition zustande: „Bezüglich seines Schwanzes ist er (der Biber) ganz ein Fisch, und er ist als solcher gerichtlich erklärt durch die Medizinische Fakultät in Paris, und in Verfolgung dieser Erklärung hat die Theologische Fakultät entsprechend entschieden, dass das Fleisch an Fastentagen gegessen werden darf.“
 
Nun sind ja Mediziner und Theologen nicht besonders ausgebildete Zoologen, aber dass man Tiere nicht aufgrund ihrer Schwanzbeschaffenheit katalogisiert, hätten selbst sie wissen können. Theologen ordnet man ja auch nicht wegen ihrer schwarzen Robe dem Kohlenbergbau zu.
 
Neben dem wertvollen Biberpelz und dem Biberfleisch waren die Menschen auch aufs Bibergeil geil, das als Heil- und Potenzmittel galt und auch Castoreum genannt wird. Die ölige, eigentümlich riechende Substanz mit ihrem hohen Gehalt an Salizylsäure aus den Analdrüsen fand im Mittelalter eine breite medizinische Anwendung und war sehr teuer.
 
Wie man Schäden minimiert
Beim Biber, der über 1 m lang und 35 kg schwer werden kann, sind es die meisselartigen Schneidezähne, die ihn zum Nagetier (Gattung: Holzfäller …) stempelten; ein Baum von 30 bis 40 cm Stammdurchmesser legt er in einer Nacht problemlos um. Und auch wenn wir Menschen in Sachen Baumfällen nicht besonders zimperlich sind, so dulden wir offenbar auch in derartigen Belangen nicht gern Konkurrenz. Im Pro-natura-Magazin 4-1997 („Biber, beiss Dich durch!“) kann man nachlesen, wie man sich mit den hoffentlich weiter wachsenden Biberbeständen arrangieren könnte: „Die Schäden fallen für die Forstwirtschaft kaum ins Gewicht; in der Regel beschränkt sich der Biber auf wirtschaftlich uninteressante Gehölze unmittelbar am Ufer. Probleme gibts, wenn nicht ausreichend Weichhölzer vorhanden sind und plötzlich in einer Obstplantage oder in einer Pappelpflanzung Biber auftauchen. Mit Drahtgittern können Bäume gezielt geschützt werden. Und das Anpflanzen von Weiden hat eine präventive Wirkung.“
 
Die Diskussionen über das Wegfangen oder gar das Abschiessen von Bibern entspringen oft mangelhaften Kenntnissen über die Bedeutung der Tiere. Und ein Besuch der Ausstellung in Solothurn (bis 27. April 2008, freier Eintritt) und/oder die Konsultation der entsprechenden Publikationen ist sehr zu empfehlen. Wir müssen lernen, von den Tieren zu lernen, gerade in Sachen Wasserbau. Würden sich Biber als Haustiere eignen, müssten alle Wasserbauer verpflichtet werden, sich eine Biberfamilie zu halten, um ihre Baukünste studieren zu können. Glücklicherweise gibt es immer mehr Möglichkeiten, dies auch in der freien Natur zu tun, falls bei Biberbauten nicht gleich Aufräumequipen aufkreuzen.
 
Quellen
Naturmuseen Olten und Thurgau: „Baumeister Biber“ (Ausstellungsbroschüre).
Pro Natura: „Der Biber. Eine Unterrichtshilfe“, Pro Natura, Postfach, CH-4018 Basel.
Pro Natura: „Biber, beiss Dich durch!“ Pro Natura Magazin spezial, 4-1997.
Zürcher Tierschutz: „Biber weisen uns den Weg“, Zürcher Tierschutz, Zürichbergstrasse 263, CH-8044 Zürich.
 
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