Textatelier
BLOG vom: 25.04.2008

Das Durchhalten üben! Vor der Vernunft nicht kapitulieren!

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Nach dem Afghanistan-Krieg haben die USA auch den Irak-Krieg längst verloren. Aber man zieht sich aus diesen zerstörten Ländern mit den riesigen Totenäckern nicht zurück, hält durch, nimmt weitere Tote à discrétion in Kauf, verschuldet sich zunehmend, erfindet immer neue Wachstumsmotoren wie die Verschleuderung von ungedeckten Hypothekarkrediten. Auf dass die Amerikaner ihrer Verschwendsucht nachgehen und die Wirtschaft ankurbeln konnten. Und jetzt, wo das Kartenhaus umgestürzt ist, ist im Land der unbegrenzten Dummheiten die Rezession da.
 
US-Hypothekenschwindel: An dieser geradezu biblisch anmutenden wunderbaren Geldvermehrung wollte jedermann teilhaben. Alle und alle Welt wollten auf dieser Hochzeit zu Kana tanzen und mit der Verwandlung von Wasser in Wein teilhaben, ein Luxuswunder, wie es am Anfang des Johannes-Evangeliums beschrieben ist. Doch sie erwischten statt des Weins nur klebriges Zeug, das ungeniessbar und gesundheitsschädigend war und sich nicht absetzen liess. Das himmlische Wunder hatte sich ins Gegenteil verkehrt; das höllische Desaster war für einzelne Finanzinstitute beinahe zum letzten Abendmahl geworden. Durchhalten lautet die Devise. Nur der UBS-Boss Marcel Ospel hat aufgegeben.
 
Auch Hillary Clintons Wahlkampfkassen sind leer, aber sie hält ebenfalls tapfer durch. Diese merkwürdigen Primaries (Vorwahlen) gehen mit ihrer Beteiligung weiter. Hillary bettelt um Spenden und zeigt daneben grösstmaulig Stärke von US-Dimensionen: Falls der Iran Israel angreifen sollte, will sie den Iran „militärisch auslöschen“ (so sagte sie es zum Sender ABC) zum Gefallen der jüdischen Finanzmacht in ihrem Land. Folglich soll auch die rein auf Zerstörung ausgerichtete US-Kriegspolitik durchgehalten werden. Da weiss man, was man haben würde, falls Bills Frau die Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte. Ihre Völkermordabsichten sind umfassend, eingedenk des ständig ausgebauten Atomwaffenarsenals: „Wir wären in der Lage, sie (die atomwaffenfreien Iraner) komplett auszulöschen.“
 
Ich fühle mit dem US-Dokumentarfilmer Michael Moore, der sich von Hillary Clintons Wahlkampf angeekelt fühlt, nachdem Moore ursprünglich von ihren Handlungen und teilweise blödsinnigen Äusserungen nur enttäuscht gewesen war. Moores Zustand nach 8 Jahren George W. Bush: Wie die Mehrheit der Amerikaner sei er bewusstlos geprügelt worden, sagte Moore. Die Bewusstseinslosen müssen durchhalten.
 
Durchgehalten werden muss in aller Welt auch in Sachen Globalisierung, was den Menschen im Zustand der herbeigeprügelten Bewusstlosigkeit besser als wachen Geistes gelingt. Die neoliberale Globalisierung wurde 1938 von 26 gelehrten Männern in Paris wie dem späteren Nobelpreisträger Friedrich August von Hayek erfunden. Der Sozialwissenschaftler Alexander Rüstow umriss die Erfindung so: „Der neue Liberalismus, den ich mit meinen Freunden vertrete, fordert einen starken Staat, einen Staat oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört.“
 
Was daraus seither geworden ist, umriss der Tagesspiegel (www.tagesspiegel.de) am 19.04.2008 treffend so: „Doch unter Neoliberalismus versteht man heute etwas anderes als vor 70, 60 oder 50 Jahren. Innerhalb eines halben Jahrhunderts wurde eine wirtschaftspolitische Idee auf den Kopf gestellt. Der Neoliberalismus hat nur noch Gegner, und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat sich das kleine Wörtchen ,neoliberal’ in den letzten Jahrzehnten zu einer politischen Allzweckwaffe, ja zu einem Kampfbegriff entwickelt. Neoliberale gelten als kalt, unsozial und profitgeil. Sie drücken die Löhne, privatisieren den Staat und zerstören das Gemeinwesen. Kurzum: Alle Übel der Welt im Kapitalismus sind irgendwie neoliberal motiviert.“
 
Man müsste also korrekterweise von Neoneoliberalismus sprechen. Zu seinen üblen Hinterlassenschaften gehört die sich verbreitende Armut, eine Folge der Öffnung der Finanzmärkte und der Freihandelsabkommen, die ganze Volkswirtschaften zum Einsturz gebracht haben und es immer noch tun. Das unbedingte Primat der Wirtschaft, die schon alles regulieren würde, wie man meinte, hat Katastrophen in Serie produziert: Arbeitslosigkeit, Armut, Terrorismus, Kriege, Überwachungsstaatlichkeit. Eingebettete (verdrehende und wegschauende) Medien und Politiker wie Bush und Hillary Clinton setzen dem die Krone auf.
 
Die Hypokrise ist ein Exempel für den neoliberalen Scherbenhaufen. Grossinstitute aus dem Bankenwesen werden bereits aus öffentlichen Kassen gestützt, ein weiterer Beitrag zur Armutsvergrösserung. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF, zusammen mit der Welthandelsorganisation WTO die treibenden Kräfte dieses Dramas, haben an einer Tagung vom 12.04.2008 mindestens 500 Mio. USD zur Bekämpfung des bisher geförderten Welthungers beantragt, weil laut dem IWF-Präsidenten Dominique Strauss-Kahn die Hungerkatastrophe sogar gefährlicher und ernster als die von den USA ausgegangene Finanz- und Finanzierungskrise sei.
 
Noch aber gibt niemand zu, dass die Neoliberalität in ihrer neuen, ins Gegenteil verkehrten Form als Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie unhaltbar ist. Stattdessen werden bei künstlich erzeugtem Sonnenschein Durchhalteparolen durchgegeben.
 
Durchhalten will auch die Schweiz und sich im Agrarbereich an die WTO mit ihrer Doha-Runde anpassen, vorerst über ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU. Die Zerstörung der einheimischen Landwirtschaft, wie sie seit mindestens 15 neoliberalen Jahren im Gange ist, will der Bundesrat vorantreiben. Früher liess man sich die Landwirtschaft als nationale (Über-)Lebensversicherung noch etwas kosten, heute stammen bereits etwa 40 % der in der Schweiz verzehrten Nahrungsmittel aus dem Ausland, hauptsächlich aus der EU. Bereits fressen wir Schweizer den teilweise hungernden Ägyptern die Kartoffeln weg. Der Spassgesellschaft in der Schweiz, die vom Wesentlichen medial bewusst abgelenkt wird, werden sinkende Lebensmittelpreise angekündigt und der Landwirtschaft bessere Exportchancen. Und wenn es einmal ernst werden sollte, weil die USA gerade wieder einen Weltkrieg angezettelt haben, können wir uns im Durchhalten üben, weil der wesentliche Teil unserer Landwirtschaft bereits verstorben und das entsprechende Wissen erloschen ist.
 
Durchhalten! Nur nicht vor der Vernunft kapitulieren!
 
Wie sagte doch unser globalisierungserfahrener Heilige Vater, Papst Benedikt XVI., beim ökumenischen Treffen in New York am 18.04.2008 so wunderschön: „Ich ermutige Sie alle zum Durchhalten und dazu, immer auf die Gnade des auferstandenen Christus zu vertrauen, dem wir dadurch dienen wollen, indem wir danach trachten ,in seinem Namen alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen (Röm 1,5).“
 
Die neuen weltlichen Heiden, unter denen ich mich pudelwohl fühle, sind die Globalisierungsskeptiker. Sie wahren die unbedingt notwendige „Einheit des Geists“ (Eph 4,1‒3) nicht, stehen also ausserhalb des Mainstreams. Wir verkennen, dass man in einem Gefühl der Verbundenheit und der gegenseitigen Abhängigkeit das sich zunehmend abzeichnende, aus der Neo-Neoliberalisierung herausgewachsene und wachsende Elend besser ertragen könnte – das Durchhalten also etwas leichter wäre.
 
Nur in einem treffen wir uns mit den Angepassten: Auch wir sind unbelehrbar. Zeigen Stehvermögen. Halten durch.
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. CHF 37.20, EUR 24.10.
 
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