Textatelier
BLOG vom: 31.05.2009

Die Schreckmaus besucht die englische Königin (2)

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Am 2. Tag
Wir Mäuse, ob im Feld oder in der Stadt, erwachen, während es draussen noch dunkel ist. Aber in London ist es nie so stockdunkel wie auf dem Land: Die Strassenlichter und Verkehrsampeln schimmern rostrot bis zu den Wolken hoch. Schon fuhren die Lieferanten vor und entluden ihre Ware.
 
„Was rumpelt da direkt unter mir“, fragte ich erschrocken. Ida, so hiess meine liebenswürdige Mäusin, sagte: „Das ist bloss die Piccadilly Metrolinie unter uns; du solltest das Gerangel und Getrampel der Menschen sehen, wenn sie in einer Stunde unterwegs zur Arbeit aus dem Untergrund strömen. Komm!“ forderte sie mich auf, „jetzt ist es die beste Zeit zum Frühstück; wir benagen einen abgestellten Sack, der gut riecht und – Schwupps – kriegen wir, was uns schmeckt!“
 
Ununterbrochen regnete es seit Stunden schon. Unter einer lecken Dachtraufe hatte sich eine Pfütze gebildet. Ida sprang ins Wasser und plätscherte. „Komm!“ sagte sie wiederum, „und wasche dich.“ Ich mag Wasser nicht, am allerwenigsten kaltes; doch wollte ich mich vor Ida nicht blamieren und sprang ihr nach. „Was willst du heute in London erleben?“, fragte sie mich unternehmenslustig. Am liebsten wäre ich durchs Mausloch wieder in die Wärme gekrochen. Verlegen kringelte ich meinen Schwanz zum Fragezeichen. „Nun, da du hier fremd bist, werde ich für dich entscheiden.“ Sie sprudelte vor Einfallsfreude: „Wir könnten den weissen Ballettmäusen beim Leicester Square zuschauen … oder vom ,Eye’ (Riesenrad) London von oben beschauen, bis uns schwindlig wird … oder Maus auf dem PC spielen … oder der Königin im Buckingham Palast einen Schrecken einjagen – dein Name ist dafür wie geschaffen … oder unter die Perücken der Richter kriechen … oder im Parlament den Politikern in die Hosentaschen schlüpfen, weil es dort wieder Platz gibt.“
 
„Warum beginnen wir nicht mit der Königin?“, meinte ich ihr zuzwinkernd, „denn den Buckingham Palast will ich unbedingt besichtigen.“ Ida stimmte bei: „Und nachher ist es nicht weit zum ‚House of Commons‘. Vielleicht finden wir in einer der Taschen der diebischen Parlamentarier eine ‚Mars Bar‘. Ich habe gute Beziehungen zum Königshaus und auch zum ‚House of Commons‘“, brüstete sich Ida. Ich war beeindruckt.
 
Weder Ida noch andere Mäuse sind aufs Handy angewiesen. „Ich weiss, wo mein Freund ist“, pfiff Ida vergnügt und fügte bei: „Ich wette, er schlummert in einer abgestellten Bärenfellmütze der Garde.“ Klein und pfiffig wie wir Mäuse sind, schlüpften wir durchs schmiedeeiserne Tor in den Palast.
 
„Da kommt er schon – Sir Archibald“, sagte Ida und verbeugte sich ehrfürchtig vor der stattlichen ergrauten Eminenz und stellte mich gebührend vor. „Ist er stubenrein?“ fragte Sir Archibald, und beäugte mich streng aus seinen Kugelaugen. „Ja, und sogar frisch gewaschen“, bestätigte Ida hurtig und trug ihm unseren Wunsch vor. „Die Königin schläft noch“, antwortete Sir Archibald. Genau in diesem Augenblick begann das Glockenspiel der pompösen Wanduhr. „Die schläft aber lange“, meinte Ida und zählte die Stundenschläge – genau 11 Uhr. „Schläft sie mit Philipp?“ wollte Ida wissen. „Ich will hier keine Bettgeheimnisse lüften“, sagte Sir Archibald diskret ausweichend, aber gab auf Idas Drängen nach: „The Queen sleeps alone (die Königin schläft allein), weil Philipp schnarcht und nach Whisky riecht. Aber ihre ‚Corgis‘ (die von der Königin bevorzugten Möpse) schlafen bei ihr unterm Bett.“ Da erschrak ich gewaltig. „Nur keine Angst“, sprach mir Sir Archibald zu, „diese Viecher sind viel zu dick und auf ihren kurzen und krummen Beinen für uns ganz und gar ungefährlich“. Ida stupfte mich ermunternd: „Komm schon, du wolltest doch die Königin erschrecken. Schliesslich heisst du nicht umsonst Schreckmaus.“ So hatte ich es nicht gemeint.
 
Das Mausloch im Königshaus ist hinterm purpurnen Damastvorhang – Noblesse oblige – versteckt und führt direkt hinters Baldachin-Himmelsbett der Königin. „Wird hier nie gelüftet?“, rümpfte Ida die Nase, als wir den Eingang zum Schlafzimmer erreicht hatten. „Das ist gegen die Tradition“, klärte sie Sir Archibald auf. Die Corgis in ihren gepolsterten Schlafkörben rührten sich nicht, aber einer von ihnen rülpste und pisste. Ida hielt sich ihre empfindliche Nase zu. „Man gewöhnt sich daran“, schmunzelte Sir Archibald väterlich. „Wartet“, wies er uns an, „jetzt kommt das Personal und wird der Königin in die Kleider helfen, aber zuerst kriegt sie ihren Hagebuttentee in der Meissentasse serviert.“ „Kann sie sich nicht selbst anziehen?“ empörte sich Ida. „Das gehört zur Tradition“, erklärte Sir Archibald kurzum. Die Corgis erwachten ebenfalls. „Die kommen immer zuerst dran und dürfen ihre Milchnäpfe auslappen, genau wie die Parlamentarier“, fügte er verhalten hinzu.
 
Ida und auch ich waren enttäuscht, als der Tee, bloss von trockenem Biskuit begleitet, auf das Rokoko-Nachttischchen neben der Königin abgestellt wurde. Eine Dienerin entfaltete die Serviette. „Das ist doch schäbig – nicht einmal ein ‚English Breakfast‘!“ Die Königin Elisabeth richtete sich umständlich auf. Ein grosses, mit dem Königswappen verziertes Kissen wurde ihr hinter den Rücken geschoben.
 
„Jetzt musst du sie erschrecken, spring ihr aufs Bett!“ gebot Ida. Wie geheissen, sprang ich auf die Bettdecke. Die Königin rührte sich nicht, auch nicht als ich mutig tänzelnd auf der Decke hin und her huschte. „Selbst wenn wir zu Dritt auf ihrer Decke tanzten, wird sie sich nicht rühren“, sagte Sir Archibald sichtlich amüsiert. „Die Königin lässt sich von Mäusen weder erschrecken noch einschüchtern. Das gehört zur Tradition.“ Enttäuscht fügte Ida hinzu: „Nicht einmal von der Schreckmaus.“ 
*
Es darf vermerkt werden, dass an diesem Tag die „Queens Garden Party“ stattfand. Alle Palastmäuse nahmen teil, denn es gab herrliche Sandwiches und erst noch Champagner auch für uns, wo immer da und dort Gläser umkippten. Etwas beschwipst fanden wir uns nachher wieder ins Soho zurück. Der Besuch des Parlaments musste auf den 3. Tag verschoben werden.
 
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