Textatelier
BLOG vom: 05.07.2011

Frauenfussball-WM (1): Karla Kick, Anmut und Brustpanzer

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als Männer-Fussball-Fan wusste ich vor einigen Tagen noch nicht, wer Karla Kick ist. Auch meine Bekannten hatten keine Ahnung. Erst aufgrund von Angaben in der Zeitung „Der Sonntag“ vom 03.07.2011 wurde mir der Begriff klar und deutlich vor Augen geführt. Karla Kick heisst nämlich das Maskottchen der 6. Frauenfussball-WM. Ganz amüsant fand ich die Meldung, dass im Inneren der menschengrossen Puppen, die überall herumtanzen, ausgerechnet Männer sind. Die Presse überschlug sich vor Freude, machte geistige Verrenkungen und gebar folgende Schlagzeile: „Karla Kick ist in Wahrheit ein Kater.“
 
Bei der letzten Fussball-WM der Männer war ein unbekleideter debiler Löwe namens Goleo das Maskottchen. Er stand für Dynamik, Stärke, eben für das, was einen König der Tiere ausmacht. Karla Kick sieht demgegenüber wie ein missratenes Kätzchen mit 4 Ohren aus und sollte angeblich ein Schnurrkätzchen mit einem koketten Augenaufschlag darstellen.
 
„Unser Maskottchen steht auf beeindruckende Weise für die wichtigsten Attribute des Frauenfussballs: Leidenschaft, Spass und Dynamik“, sagte Steffi Jones, Präsidentin des Organisationskomitees. Den ersten Spielen der WM fehlte die Dynamik, es kam Langeweile auf, und die Konzentration der Spielerinnen liess zu wünschen übrig. Die Deutschen wurden nach den ersten Spielen als „gehemmte Favoritinnen“ bezeichnet. Das deutsche Team ist noch auf der Formsuche. Anderen Mannschaften erging es ebenso.
 
Martina Philipp, Journalistin bei der „Badischen Zeitung“, gab einen Tag vor Beginn der WM (sie dauert vom 26.06. bis 17.07.2011) 10 amüsante WM-Wünsche zur Steigerung der allgemeinen Lockerheit bekannt. Hier einige Ratschläge: Männer sollten keinen Schlag von den Frauen auf dem Kopf bekommen, wenn sie Frauenfussball schlecht finden oder einen anderen TV-Kanal wählen. Wimperntusche sollte bei den Fussballerinnen erlaubt sein. Abschliessend brachte sie das Folgende aufs Papier: „Das Leben ist ernst genug. Mögen sich alle Männer und Frauen während der WM einfach schön lockermachen.“
 
Für den Fifa-Präsidenten Joseph Blatter, der sonst immer in Höhe der Mittellinie auf den Prominentensessel in den Stadien sitzt, empfahl sie eine Salbe: „Möge Blatter sich eine grosse Tube Schmerzgel ins Stadion mitnehmen, jetzt, da er aller Voraussicht nach 6 Meter neben der Mittellinie sitzt.“
 
Im Internet las ich noch eine Meldung, die etwa so lautete: Frauen gucken Public Viewing, und Männer gehen einkaufen. Verkehrte Welt. Bei der Männer-WM war es nämlich oft umgekehrt.
 
Was war doch vor der WM alles über den Frauenfussball zu hören! Oft wurde gesagt, die Frauen könnten nicht Fussball spielen. Sie seien zartbesaitet, hätten keine Ausdauer und ein schwaches Zweikampfverhalten. Die Kommentare arteten derart aus, dass offensichtlich wurde, wie wenig die Männer den Frauen zutrauen.
 
Manche hielten fest, die Frauen führten Zickenkriege und würden heulen. Dazu Bernd Schröder, Meistertrainer von Turbine Potsdam: „Ein Unterschied zu Männern ist, dass sich die Frauen bei Problemen mal in den Hintern treten, und dann ist Feierabend. Ich will jetzt nicht sagen, dass Frauen nachtragender sind, aber sie beschäftigen sich doch länger mit Problemen“ (Quelle: Interview in der „Badischen Zeitung“ vom 18.06.2011).
 
Was ich mir wünsche? Dass die Spiele fair verlaufen und die Spielerinnen und Zuschauer Freude empfinden. Was ich mir besonders wünsche ...: Dass sich so manche Torschützin beim Jubeln ihres Trikots entledigt (wie das Männer tun. Das Herunterreissen wird jedoch mit einer gelben Karte bestraft). Auch ein Trikotwechsel am Schluss dürfte für viele ein Augenschmaus sein.
 
Was ich bedauere? Nun, dass die attraktiven Italienerinnen (diese schieden in der Qualifikation gegen die USA aus) und Schweizerinnen nicht mitkicken. Walter Hess schrieb mir dazu in einer E-Mail vom 03.07.2011 diese Zeilen: „Hübsche Schweizerinnen gibt es überall, auch in Bioläden und an den Kassen von Verkaufszentren. Wir wollen wegen ihnen nicht unbedingt in ein Stadion gehen müssen.“ Er ist zudem der Ansicht, dass die Schönheit, der weibliche Charme, beim Betreiben von Kampfsportarten leidet und dass die Frauen noch schneller vermännlichen. Kampfmaschinen aller Art hätten ihn noch nie durch einen besonderen Liebreiz fasziniert, fügte Hess bei.
 
Verschwindet die weibliche Anmut?
Der Deutsche Fussball-Bund (DFB) erlaubte erst vor 31 Jahren das offizielle Fussballspielen der Frauen in Deutschland. 1955 äusserte der Bund bereits dies:
 
„Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“
 
1976 hatte der DFB bezüglich Werbung diese Ansicht: „Die Anatomie der Frau ist für Trikot-Werbung nicht geeignet. Die Reklame verzerrt.“
 
Dazu muss ich heute sagen, dass dies alles nicht mehr stimmt. Die weibliche Anmut ist bei vielen erhalten geblieben (manche Spielerinnen sind sehr attraktiv). Es gibt natürlich unter den Spielerinnen auch solche, die einen vermännlichten Gesichtsausdruck haben. Ein Kollege meinte kürzlich, diese hätten mehr männliche Hormone im Blut als die fraulichen Kickerinnen.
 
Dass die Frauen nicht so athletisch wirken und auch nicht so brutale Fouls machen (Ausnahme: die Nigerianerinnen holzten gegen Deutschland sehr kräftig, kein Wunder bei der Schiedsrichterin, die grottenschlecht war), dürfte jetzt allen bekannt sein. Dafür sind sie laufstark und auch schussgewaltig. Nur mit dem Toreschiessen haperte es in der Vorrunde.
 
Europäisches Blut in US-Girls?
Was mich besonders erfreute, war die Spielweise der US-Amerikanerinnen, die gegen Kolumbien ein starkes Spiel lieferten. Sie spielten die Kolumbianerinnen förmlich an die Wand. Die USA gehören, neben Frankreich, Brasilien und Deutschland, zu meinem Favoritenkreis.
 
Als ich die Namen der US-Mädels las, dachte ich mir, da gibt es doch einige Spielerinnen, die deutsches bzw. europäisches Blut in ihren Adern haben (z.B. Krieger, Buehler, Wambach, O’Reilly). Vielleicht sind sie deshalb so gut.
 
Der Leser „hierro“ schrieb zum Spiel in „Spiegel Online“ (www.spiegel.de): „Endlich kristallisiert sich das erste Frauenfussballteam heraus, dem man zuschauen kann, ohne Brechreizgefühle zu bekommen. Die Mädels aus den USA haben deutlich vor Augen geführt, was die deutsche Trainerin Silvia Neid bei den deutschen Fussballerinnen alles versäumt hat. Hier differenzieren 2 Mannschaften um Klassen. Diese Souveränität, die die Spielerinnen der USA gezeigt haben, wird den deutschen Fussballerinnen vielleicht noch sehr zu schaffen machen.“
 
Ein anderer schrieb, dass die Mannschaft der USA einen starken Fussball gespielt habe, und zwar so, wie es gute Herrenmannschaften es auch nicht besser könnten. Warten wir einmal ab, ob das so weiter geht.
 
Blick in die Geschichte
Britische Fussballerinnen gab es schon 1894. Damals gründete die britische Frauenrechtlerin Nettie Honeyball die 1. Frauenmannschaft. 8 Jahre später verbot der britische Verband die Spiele gegen Frauen. Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg. Damals waren Männer knapp. Frauenfussball war plötzlich wider „in“. In einem Spitzenspiel kamen mehr als 50 000 Zuschauer. Ein Jahr später war wieder Schluss mit der Herrlichkeit. Frauen durften dann 50 Jahre nicht mehr offiziell spielen. 1970 hob der britische Verband das Verbot wieder auf.
 
Auch in Deutschland war bis 1970 das offizielle Spielen verboten. Trotzdem kickten Frauen in vielen Mannschaften. Es gab 1956 das erste inoffizielle Länderspiel gegen Holland, das 2:1 gewonnen wurde. Der Berichterstatter der „Neuen Ruhrzeitung“ berichtete von einem Spiel mit „guten Kombinationen“.
 
Fifa-Trainerin Monika Straub, die in mehr als 50 Ländern für den Fussball tätig war, erzählte in ihrem Buch „Die Früchte des Traums“ von der harten Zeit des Frauenfussballs. Früher durften Frauen nur 30 Minuten spielen, Stollenschuhe waren nicht erlaubt. Es wurde sogar erwogen, dass Frauen einen Brustschützer tragen sollten. Die Spielerinnen rebellierten und sagten: „Wo sind denn die für Männer?“ Früher kamen die Männer – manche bezeichneten die Spielerinnen als Kampflesben – nur wegen der wippenden üppigen Brüste der Spielerinnen in die Stadien. Das kränkt sie noch heute.
 
Heute ist es doch so, dass die Männer (und auch ich) vielmehr auf die Gesichter und auf die wippenden lustigen Pferdeschwänzchen, den Zöpfchen in den Haaren und auf die Beine gucken. Auch das noch: Die Trikots sind weit geschnitten und gelten als unerotisch.
 
Über Besonderheiten und Kuriositäten aller Art werde ich in einem weiteren Blog demnächst berichten.
 
Internet
www.zdf.de (alle Tore, Tabellen und Spielberichte im WM-Center)
 
Literatur
Philipp, Martina: „Der lange Weg“, „Badische Zeitung“ vom 18.06.2011.
Philipp, Martine: „Ich weiss, wie sie ticken“, Interview mit Bernd Schröder, „Badische Zeitung“ vom 18.06.2011.
Philipp, Martina: „Keine Schläge auf den Hinterkopf des Mannes“, „Badische Zeitung“ vom 25.06.2011.
Staab, Monika; Hochgesand, Dieter: „Früchte des Traums: Wie die Frauen den Fussball eroberten“, Röschen Verlag, 2011.
 
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