Textatelier
BLOG vom: 28.10.2011

Occupy Wallstreet: Hochkonjunktur für Camper und Besetzer

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Die Globalisierungsidee mit ihren weltweit verheerenden Folgen, die sich täglich deutlicher abzeichnen und sogar das Volk der US-Amerikaner (abgesehen von der dortigen Finanzoligarchie) in die Armut treibt, ist amerikanischen Ursprungs. Die als weltweite Protestbewegung inszenierte Aktion Occupy Wall Street (Besetzt die Wallstreet) als Reaktion der besonders Unzufriedenen, Hereingelegten kommt logischerweise ebenfalls von dort.
 
Der Westen, diese Ansammlung US-höriger Trottel, ist voll auf die Globalisierungsidee mit all den unendlichen, gegen die Massen gerichteten Tricksereien hereingefallen. Die Menschen in den betroffenen Ländern können nun am eigenen Leib erleben, dass es dadurch zum Niedergang ganzer Wirtschaftszweige einschliesslich des Bankenwesens, zum Verschwinden von Traditionsunternehmen wegen der Schaffung industrieller Monokulturen, zu Massenarbeitslosigkeit, zu Wirtschaftskriegen, höheren Abgaben, zur Überwachungsstaatlichkeit, zum Sozialabbau, zum Bildungszerfall (Einheitslehranstalten) usw. kommt. Und die ganze Mitläufer-Welt zahlt mit. Allein der Konkurs der US-Investmentbank Lehman Brothers kostete die Schweizer Anleger rund 4 Milliarden CHF.
 
Schwer defizitäre Staaten wie die USA, die ihre Schulden niemals werden begleichen können, erachten die globalisierte Fläche als freies Jagdrevier und veranstalten dort ihre Beutezüge, ohne vor kriminellen Taten zurückzuschrecken. Ein Haircut (Schuldenschnitt, Schuldenerlass), d. h. die Streichung eines Teils der Schulden – im Falle von Griechenland 50 % –, verlagert die Schäden zu den Anlegern, mithin auf Leute, denen das Sparen kein Fremdwort war. Auch die Banken werden mehr oder weniger ruinös betroffen; auch sie müssen gestärkt (gerettet) werden – mit allen fantasievollen, undurchschaubaren Konstrukten, Luftnummern, die mit Hebeln ausgestattet sind. Es sind Heftpflaster, die keinen Heileffekt haben. Die noch frei verfügbare Kreditsumme von etwa 275 Milliarden der insgesamt 440 Milliarden Euro kann durch die Mobilisierung privaten Kapitals um den Faktor 4 bis 5 steigen. Die Banken sind angehalten, ihr Eigenkapital um 106 Milliarden Euro aufzustocken.
 
Für Griechenland war das wahrscheinlich die letzte Rettung; doch dann setzt sich das Debakel eben anderswo fort. Stern-online schrieb von einem „Höllenritt der Euroretter“ und von der „Chaostruppe auf Monsterjagd“. Die starken Metaphern sind angemessen. Alles konzentrierte sich bis jetzt auf Griechenland; damit liessen sich die wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fehlleistungen, die in vielen anderen Ländern an der Tagesordnung waren und sind, wunderbar tarnen, kaschieren.
 
Das ist die New Economy, ein neuer Begriff, weil man das Wort Globalisierung kaum noch auszusprechen wagt. Die Globalisierung ist heruntergewirtschaftet, geht unter Rettungsschirmen, die immer grösser werden müssen, an Krücken. Die Unzufriedenheit ist gigantisch.
 
Die neuen Protestanten
Weil in den meisten der sogenannt demokratischen Ländern die Volksmitsprache auf das absolute Minimum reduziert ist, bleibt den Menschen nichts anderes als der Strassenprotest. In Frankfurt am Main D suchten die Leute Rettung vor dem Euro-Rettungsschirm EFSF (Europäische Finanz-Stabilisierungs-Fazilität, englisch: European Financial Stability Facility). Demonstrationen von Unzufriedenen haben in den vergangenen Jahren und Monaten an Zahl und Intensität zugenommen. Nicht immer blieb es beim Entrollen von Spruchbändern und dem abgehackten Skandieren von Schlachtrufen gegen das verfilzte, verflixte kapitalistische System mit seinen Licht- und Schattenregierungen sowie seinen Auswüchsen, die ein Vorbeter ins Megafon geschrien hatte. In solch aufgeheizten Stimmungen kommt es auch immer wieder zu Tätlichkeiten, die dann von Ordnungskräften zurückgedämmt werden müssen. Bürgerkriegssituationen. Und wiederum hält das Volk den Kopf hin und nicht jene, die eigentlich Zielscheibe des Zorns wären.
 
Schlachtszenen sind mancherorts beliebt. Action. Wer Verwundungen vorzeigen kann, ist ein Held, und die Medien, insbesondere jene, die mit bewegten Bildern arbeiten, sind dankbar für solche Motive, die Quoten garantieren. Und sie lassen keine Gelegenheit aus, um über die brutale Polizei zu lamentieren. Dass es Polizisten gibt, die sich nicht einfach mit harten Gegenständen bewerfen lassen, scheint ihnen unverständlich zu sein. So werden die Medien zu einem festen Bestandteil der Unruhen, weit über ihre Rolle als möglichst neutrale Berichterstatter hinaus. Sie agieren aktiv.
 
Die Sachlage ist verworren, schwerlich auf einen einfachen Nenner zu bringen. Geht es bei der Occupy-Bewegung gegen die Banken, die ihre Geschäfte nicht mehr im Griff hatten und manipulierte Bilanzen vorlegen, oder gegen die Politiker, die das Debakel vorbereitet und das Gesamtwohl vergessen haben? Der Volkszorn ist nachvollziehbar, auch wenn den modernen Menschen der Vorwurf nicht erspart bleiben kann, seit Jahren kritiklos auf das Medien- und Politikergeschwätz hereingefallen zu sein und das Gehirn ausgeschaltet gehabt zu haben. Das Volk wird in den meisten Ländern nach Strich und Faden verschaukelt und wie Suppenhühner gerupft. Gerade die auf Enteignung und möglichst weite Umverteilung abzielende sozialistische Politik, die mit vollen Segeln das Globalisierungselend propagierte (sogar die Sozialdemokratische Partei der Schweiz steht seit Jahren für den EU-Beitritt – wie kann man nur!) führte zuerst zur Enteignung der untersten Schichten und jetzt auch des Mittelstands. Das sind staatspolitisch dramatische, destabilisierende und also folgenschwere Vorgänge. Und auf der anderen Seite können die Hochfinanz und ihre Profiteure gar nicht genug bekommen.
 
Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass die Verursacher einer Misere und die Leidtragenden am Ende gelegentlich dieselben sind: Der mit Kriegen untermauerte Kampf der USA um die Weltherrschaft hat vor allem dieses Land und damit auch seine Mitläufer geschwächt, an den Rand des finanziellen Abgrunds gebracht. Die einfältige sozialistische Politik der Gleichmachung (bis hinein in den Gender-Sektor), die man nach dem Zerfall des Kommunismus als überwunden erachtete, fügte nicht allein den Massen der Arbeitnehmer, sondern auch dem Land schweren Schaden zu; die Verschuldung wächst auf allen Ebenen.
 
Gerechtigkeit statt Gleichmachung
Heute wird offensichtlich, dass für die falschen Ideale gekämpft wurde: für Gleichmachung statt für Gerechtigkeit. Der Kirchenvater Augustinus, der selber ein Leben voller Irrungen, Exzessen bis hin zur krankhaften Selbstzerstörung hinter sich hatte und damit ein Sinnbild für die heutigen Zustände ist, prägte den dauerhaft gültigen Satz: „Ohne Gerechtigkeit sind die Staaten nichts anderes als grosse Räuberbanden“ („Remota justitia quod sunt regna nisi magna latrocinia“).
 
Es gab immer mächtige Fürsten, die ihre Macht endlos ausweiten wollten, die gewissenlos operierten, keine Rücksicht auf Menschlichkeit und Verträge nahmen, sich über Unrecht hinwegsetzten. Werden sie unterstützt oder schaut man ihrem Treiben nur schon untätig zu, breiten sich Unzufriedenheiten über die Völker aus, die Ursache für Revolutionen sein können. Das sind schmerzliche Prozesse, die man schon in ihrer Entstehungsphase hätte unterbinden müssen.
 
Die Bewegung „Occupy Wall Street“, mit der sich wütende Menschen Luft machen und die vorerst noch von Übertreibungen der Teilnehmerzahlen lebt, richtet sich im Wesentlichen gegen das Banken- und Finanzwesen, das gerade in der Schweiz einst zum Wohlstand beitrug . Doch die Missstände, die mit der ausufernden Globalisierung vergesellschaftet sind, traten neuerdings deutlich zutage. Besonders störend war dabei, dass ausgerechnet jene Banker, welche die grössten Schäden anrichteten, die höchsten Boni bezogen haben. Solche Absurditäten wurden zum Sinnbild einer desorientierten Gesellschaft, die sich nun aufmacht, vor Banken, vor Regierungsgebäuden und auf Strassen ihre Zelte und ihre Transparente aufzustellen. Das Campieren hat eine neue Basis erhalten; die Camper treffen sich zu „Vollversammlungen“, wo sie ihre Kröpfe leeren.
 
Ob wirtschaftsschädigende Streiks und anarchische Zustände die Globalisierungsschäden zu flicken vermögen, darf man wohl bezweifeln. Sie sind höchstens Botschaften an Finanzwirtschaft und Politik, zu vernünftigen, überschaubaren Dimensionen zurückzukehren. Und die Botschaften tragen selber den Keim der Zerstörung in sich.
 
An der Quelle des Übels
Der Aufruf zum Besetzen der Wallstreet ist am Ort seines Entstehens, in den USA, sinnvoll. Schon seit Jahren habe ich mich darüber gewundert, dass das amerikanische Volk den amtlich geförderten Massnahmen zum Leben über die Verhältnisse, der von einer Finanzoligarchie gesteuerten Kriegspolitik, der Vernachlässigung von Bildung und Infrastruktur und anderen Degenerationserscheinungen, auch jenen moralischer Art, nicht entgegengetreten ist. Wahrscheinlich war diese Passivität eine Folge der Wohlstandsverblödung, die gleichzeitig mit dem US-Lebenstraum zu Ende war und die Leute erst jetzt auf die Barrikaden treibt. Die Verelendung ist nicht mehr zu übersehen.
 
Der Zerfall der USA in wirtschaftlicher Hinsicht hat die ganze globale Finanzarchitektur ins Wanken gebracht. Eine weitere Grossmacht in der Krise ist die EU, die, an die USA gekettet, in den Strudel des Niedergangs geriet, auch wenn Barack Obama diesen Tatbestand zur Lüge verdreht und Europa für den desolaten Zustand der Weltwirtschaft verantwortlich macht. Die EU als Fehlkonstruktion ist für den eigenen Zerfall im schwierigen Umfeld verantwortlich. Die Rettungsmassnahmen sind gigantisch, der Zerfall wird hinausgeschoben. Die selbsternannten Feuerwehrkommandanten, Angela Merkel (Deutschland) und Nicolas Sarkozy (Frankreich), rasten von Brandherd zu Brandherd, von Krisensitzung zu Krisensitzung und unternahmen der Versuch, durch Verschlimmbesserungen noch etwas Zeit zu gewinnen, bis sich am 26./27.10.2011 der aus den Vertretern von 17 Ländern bestückten Rettungsgipfel traf und nicht mehr anders konnte. Noch immer habe ich nicht herausgefunden, wie das EU-Regierungssystem überhaupt funktioniert. Der Kompetenzen-Wirrwarr und die undurchschaubaren Verantwortlichkeiten hinterlassen den Eindruck, als ob lauter kleine Könige mit unbegrenzter Befugnis am Ruder seien.
 
Schweiz abseits der Strudels
Die Schweiz konnte sich als einst selbstbewusste Insel behaupten und ihre Selbständigkeit in wesentlichen Aspekten bewahren. Sie ist heute das reichste Land der Welt, was sie nicht durch die Ausbeutung von Bodenschätzen (meist Steine und Kies) wurde. Die Banken hatten einen grossen Anteil daran, wie gesagt. Doch auch sie fielen auf die US-Verdrehungen und -Mätzchen herein, und noch immer ist die gesamte finanzwirtschaftliche Bedrohung aus den USA nicht erkannt, noch nicht in eine vorausschauende und zukunftstaugliche Finanzstrategie eingeflossen. Vom EU-Geschehen wird sie selbstverständlich indirekt um alle Ecken herum betroffen.
 
Wenn nun Occupy-Trittbrettfahrer in Zürich die abgewandelte Aktion „Occupy Paradeplatz“ (wo UBS und CS domiziliert sind) nachvollziehen, wirkt das als peinlicher Abklatsch einer US-Aktion, die am Entstehungsort ihre Berechtigung hat. Von denkenden Menschen in der Schweiz würde man eine selbständige Einschätzung der Lage erwarten, ein eigenständiges Handeln und nicht einfach ein Nachäffen von all der ruinösen Logik, die uns aus Amerika irritiert – in die Irre treibt und in die Abgrund mitzieht. Wir sollten selbst beim Demonstrieren etwas eigenständiger und selbstbewusster werden.
 
Grundlagen-Literatur zum Thema
Hess, Walter: Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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