Textatelier
BLOG vom: 01.12.2011

Übernatürliches: Der Apfel in Brauchtum, Mythen, Legenden

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Der Apfel spielte im Volksaberglauben eine grosse Rolle. So benutzten unsere Vorfahren den „König der Früchte“ als Orakel, besonders im Liebeszauber oder im Sympathiezauber, um sich vor Krankheiten zu schützen. Es gab aber auch Praktiken, um bösen Zauber abzuwehren. Es waren nicht nur die Äpfel, die hier im Blickpunkt standen, sondern eine ganze Reihe von Nahrungsmitteln und Heilpflanzen. „Da gibt es Lebensmittel, die sollen geschwätzig oder vergesslich machen, mit anderen sollen sich unverträgliche Partner oder böse Hunde zähmen lassen“, bemerken Eve Marie Helm und Edith Schindler in ihrem Buch „Speis und Trank im Aberglauben“.
 
Auch meine Grossmutter und meine Mutter praktizierten so manchen Aberglauben. Sie waren felsenfest davon überzeugt, dass dann das eine oder andere eintreffen würde. Wir Kinder wurden damit laufend konfrontiert.
 
Wanderfreund Ewald erzählte mir ebenfalls von einem Brauch. Während seiner beruflichen Tätigkeit kam er in viele Häuser und konnte da manche Bräuche beobachten, so auch diesen: Während der Weihnachts- und Neujahrszeit war im Wohnzimmer einer Familie immer ein grosser Zweig, an dem verschiedene farbige Äpfel hingen, zu sehen. War es nur ein ungewöhnlicher Raumschmuck, oder hatte dieser eine andere Bedeutung? Vielleicht sollte dieser Schmuck Glück im neuen Jahr bringen oder als Liebeszauber gelten. Bis jetzt konnte ich noch keine Erklärung finden. Rita Lorenzetti-Hess vermutet, dass die Äpfel eben an vielen Orten noch als die Frucht aus dem Paradies verstanden werden.
 
Bei anderen Familien wurden sogar Äpfel an die Zweige des Weihnachtsbaums gehängt. Soweit ich mich erinnern kann, verwendete meine Mutter in Holz gefertigte bunte Äpfel, die mit anderem Schmuck den Baum zierten.
 
Der Apfel ist ein Sinnbild der Vollkommenheit
Kaum eine andere Frucht hat in Mythen, Legenden, Märchen und im Brauchtum eine grössere Bedeutung erlangt als der Apfel. Unsere germanischen Vorfahren waren der Ansicht, der Apfelbaum würde sich eines besonderen Schutzes der Götter erfreuen. Selbst Donars Blitze vermochten ihm nichts anzuhaben. Aus diesem Grund pflanzten unsere Vorfahren Apfelbäume so nahe wie möglich an ihre Behausungen.
 
Seit altersher galt der Apfel wegen seiner Kugelgestalt als Sinnbild der Vollkommenheit und als Symbol für Schönheit, Glück, Macht und Herrschaft. Vielleicht wurde deshalb der Reichsapfel zum Krönungszeichen der deutschen Kaiser erkoren.
 
Wegen der vielen Kerne, die der Apfel in seinem Inneren verbirgt, galt er als Abbild der weiblichen Fruchtbarkeit und demzufolge als Wahrzeichen der Liebe.
 
Auch die folgende Erkenntnis wurde umgesetzt: Frauen, die während der Schwangerschaft viele Äpfel assen, bekamen schöne Kinder.
 
Legendäres Apfelland
Nach einer keltischen Sage hofften Könige und Helden, nach ihrem Tod ins legendäre Apfelland zu kommen. Das Paradies oder die „Gefilde der Seligen“ wurde Avalon genannt. Noch im Mittelalter stellte man sich das Paradies als einen grossen Garten mit vielen herrlichen Apfelbäumen vor, aus denen wunderschöner Gesang ertönte.
 
Goldstück oder Apfel?
Die Westgoten (418−711) hatten ein probates Mittel, um die Zurechnungsfähigkeit eines Knaben unter 7 Jahren zu prüfen. Der Junge musste sich zwischen einem Apfel und einem Goldstück entscheiden. Griff er nach dem Geld, galt er schon als geldgierig und wurde in die Obhut eines Erziehers genommen. Nahm er jedoch den Apfel, dann war dies ein Zeichen, dass er noch nicht viel Weltkenntnis erworben hatte.
 
Das Teilen des Apfels
Das Teilen des Apfels galt seit dem Paradies als Zeichen der Liebe. In frühen Zeiten waren die Mädchen besonders am Andreastag aufgeregt wie sonst nie. Sie gingen zu einer Witwe und verlangten einen Apfel, den sie teilten. Die eine Hälfte assen sie, die andere wurde unter das Kopfkissen gelegt. Im Traum, so hofften sie, den Zukünftigen zu sehen. Andere hielten von dieser Traumdeuterei nichts. Sie schälten einen Apfel, ohne die Schale zu zerbrechen; dann warfen sie die Apfelhaut über die Schulter auf den Boden. Aus den auf der Erde liegenden Apfelkringeln glaubten sie den Anfangsbuchstaben des Namens ihres Zukünftigen zu erblicken.
 
Weitere Liebesbräuche
Schon im 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung schnippten Liebende in Rom Apfelkerne mit Daumen und Zeigefinger zur Decke. Berührten die Kerne die Decke, war dies ein Zeichen, dass die Liebe erwidert wird.
 
Dieser Brauch wurde später abgeändert. Die Engländerinnen benutzten im 17. Jahrhundert Apfelkerne und Feuer, um herauszufinden, ob ihre Liebe erwidert würde. Während ein Mädchen den Namen des Angebeteten murmelte, warf sie Apfelkerne ins Feuer. Platzten in der Hitze die Kerne hörbar, durfte sie auf Gegenliebe hoffen; verbrannten diese ohne Geräusch, dann konnte sie sicher sein, dass ihr die „kalte Schulter“ gezeigt wurde.
 
Kannte eine Frau 3 Heiratskandidaten und konnte sich nicht entschliessen, wer wohl der Richtige sei, dann musste sie in der Andreasnacht (30. November) die Namen getrennt auf 3 Äpfel schreiben und die Früchte unters Kopfkissen legen. Erwachte die Frau in der Nacht, musste sie im Dunkeln einen der 3 Äpfel greifen und verzehren. Derjenige, dessen Name auf dem verspeisten Apfel stand, wurde ihr Mann. Wenn sie diesen nicht so mochte, hatte sie Pech, sie musste ihn dennoch heiraten.
 
In der Altmark wurden früher Äpfel und Nüsse während des Hochzeitszugs ausgestreut. An manchen anderen Orten trugen die Bräute Äpfel am Busen, um die Fruchtbarkeitsgöttin zu beschwören und Segen zu erbitten (nach Svenja Zuther).
 
Sehen des Zukünftigen
Besonders neugierige Mädchen kauften sich früher im Badischen am Christkindlemarkt einen Apfel. Diesen trugen sie heimlich bis zum Christtag in einer Tasche mit sich herum. Zwischen 11 und 12 Uhr verspeisten sie die Frucht. Während dieser Prozedur ging der Zukünftige vorbei und fragte: „G`schmeckts?“
 
Viele Äpfel und leichte Entbindung
Gibt es in einem Jahr viele Äpfel, kommen im darauffolgenden Jahr viele Buben auf die Welt. Dasselbe wurde ja auch von den Walnüssen behauptet.
 
Und noch ein anderer Aberglaube: Wachsen viele Haselnüsse, bleiben viele Mütter ledig.
 
Frauen, die eine künftige Entbindung erleichtern wollten, mussten während der Trauung hinter den Altar schreiten und einen Apfel an ihrem nackten Körper heruntergleiten lassen.
 
Wenn eine Frau 2 zusammengewachsene Äpfel oder Pflaumen verspeist, bekommt sie angeblich Zwillinge.
 
Ein Traum von sauren Äpfeln bedeutet Streit, ein solcher von reifen, guten Äpfeln Glück (Neustadt, Pfalz).
 
Wer Warzen vertreiben will, braucht sich nur mit einem Stückchen Apfel einzureiben und dieses dann unter dem „Dachkandel“ zu vergraben (Nordpfalz).
 
Wer als junger Mensch einen Apfel oder eine Birne schälen kann, ohne dass die Schale abreisst, darf bald heiraten (Pfalz).
 
Wer sich in der Christnacht unter einen Apfelbaum stellt, sieht den Himmel offen. Humorvoll schrieb Hilde Sieg, dass sich ein anderer zu dieser ungewöhnlichen Zeit lieber ins warme Zimmer zurückzieht und genussvoll einen Apfel verspeist. Er hebt jedoch die Kerne auf und sät sie später in seinen Garten aus. Aus diesen Kernen sollten die besten Apfelbäume heranwachsen.
 
Internet
 
Literatur
Abraham, Hartwig; Thinnes, Inge: „Hexenkraut und Zaubertrank“, Urs Freund Verlag, Greifenberg 1995.
Buhmann, Carine: „Glutenfrei kochen und backen. Ein praktischer Ratgeber mit über 130 Rezepten bei Zöliakie“, AT-Verlag Aarau 2004, 4. Neuauflage.
Helm, Eve; Schindler Edith: „Speis und Trank im Aberglauben“, AT Verlag, Aarau 1986.
Perger, Anton von: „Deutsche Pflanzensagen“, Verlag August Schaber, Stuttgart 1864.
Scholz, Heinz: „Der Apfel in Brauchtum, Mythen und Legenden“, „Natürlich“, 1990-10.
Scholz Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa-Verlag, Vaihingen 2002.
Sieg, Hilde: „Baum und Strauch, dir ewig heilverbündet“, Rowohlt Verlag, Stuttgart 1939.
Zuther, Svenja: „Der Apfel in Mythologie, Brauchtum und Heilkunde“, Workshop im Rahmen der 1. Lüneburger Streuobstwiesentagung, 21.05.2011 (nachzulesen unter www.boell-haus-lueneburg.de).
 
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