Textatelier
BLOG vom: 24.01.2012

Atommülllager Bözberg West: Region opfert sich der Nagra

Autor: Heiner Keller, Ökologe, Oberzeihen AG (ANL AG, Aarau)
 
Die Bözberger und die Fricktaler sind ruhige Leute. Sie glauben den Verführungen und den Anweisungen der Obrigkeit. Sie schauen erst einmal hin und harren der Dinge, die da vielleicht kommen werden. Laut werden, sich engagieren, öffentlich eine klare Meinung haben, ist nicht ihre Art. Schon mancher Kelch ist am Bözberg vorbei gegangen, ohne dass etwas Gravierendes passiert wäre ‒ und jammern kann man später auch noch. Die innere Ruhe der Landbevölkerung korrespondiert mit der harmonischen Hügellandschaft, die verglichen mit dem Mittelland noch wenig verbaut ist. Hier sind noch Platz, Weite und Beständigkeit. Hier herrschen noch nicht Gedränge, Ungeduld, Hektik und lautstarke Auseinandersetzungen.
 
Bözberger und Fricktaler stossen sich nicht am Zwischenlager für Atommüll in Würenlingen AG. In Sichtweite des Bözbergs garen die Abfälle in klinischen Behältern vor sich hin. Das ist im Normalfall der Preis, den wir für den billigen und jederzeit verfügbaren Strom zu zahlen bereit sind. Das Gewohnte ist so normal, dass wir den Atomgemeinden nicht einmal die dank Abgaben niederen Steuerfüsse missgönnen. Und dass jetzt unter dem Bözberg auch noch ruhige Gesteinsschichten vorkommen, die sich nach Ansicht der Nagra für ein unterirdisches Atommülllager eignen, ist ja schon einige Zeit bekannt. Je länger man sich daran gewöhnen kann, desto akzeptabler erscheinen die Aussichten.
 
Bözberger und Fricktaler lassen sich mit undurchsichtigen „Verfahren“ und mit einem willkürlich zusammengewürfelten Gremium namens Regionalkonferenz Jura Ost einnebeln. Den Mitgliedern der Regionalkonferenz fehlt jede politische Legitimation zur Vertretung der Bevölkerung in Sachen Atommüll. Das spielt insofern keine Rolle, als das Gremium auch über keinerlei Kompetenzen verfügt. Weil die Mitglieder handverlesen und abgezählt sind, entsteht der Eindruck von Demokratie. Wer ausgewählt wurde, fühlt sich geehrt und als Teil eines wichtigen Prozesses. Sie oder er lassen sich ihre Sitzungsteilnahme ohne irgendwelche persönliche Verantwortung von der Nagra bezahlen. Sie akzeptieren dafür, in der Öffentlichkeit zu schweigen und das Reden der Nagra und ihren Beauftragten zu überlassen. Ein von Profis zielsicher gegängeltes Palavergremium. Was herauskommt, ist ein Muster ohne Wert, beziehungsweise das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben steht.
 
Sie glauben, diese Beurteilung sei zu hart? Sie glauben nicht, dass Exponenten der Gesellschaft und Gremien sich so einbinden und veräppeln lassen? Dann bitte lesen Sie doch genau, wer mit welch verschlungenen Phrasen wie kommuniziert. Fragen Sie jemanden, der Sie in der Regionalkonferenz vertritt. Schauen Sie doch, was die Nagra mit ihrem Streufeuer über mögliche Oberflächenanlagen für ein Tiefenlager wieder inszeniert: „Oberflächenanlagen können im Unterschied zu unterirdischen Lagerteilen flexibel platziert, erschlossen und gestaltet werden.“ Die Vorschläge der Nagra dienen den Standortregionen als Grundlage für die Diskussion innerhalb der Regionalkonferenzen, welche Präferenzen entwickeln, Anpassungen vorschlagen oder auch eigene Varianten einbringen können. Gestützt auf die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit hat die Nagra die Aufgabe, ein Standortareal pro Region für die weitere Bearbeitung zu bezeichnen. Bei der Wahl dieser Standortareale fliessen die Anliegen der lokalen Mitwirkungsgremien wesentlich in die Beurteilung mit ein. Thomas Ernst: „Die Anliegen der Regionen sind wichtig für die Nagra. Wir berücksichtigen die Ergebnisse der kommenden Diskussionen mit den Regionen und setzen diese um, sofern sie sicherheitsmässig und technisch sinnvoll machbar sind" (Medienmitteilung Nagra, 20.01.2012).
 
Das tönt doch alles gut, überlegt und logisch. So wie moderne Kommunikation das halt so verkauft. Bei den 20 Vorschlägen hat es sogar einen ganz vernünftigen Standort dabei, nämlich Würenlingen, nahe beim bestehenden Zwischenlager. Wenn die Umpackerei des Atommülls dort erledigt wird, entfällt ein weiterer Transport über bestehende Strassen und Schienen. Dass die schon heute stattfindenden Transporte nach Würenlingen als „geheim“ gelten, zeigt: Die Verantwortlichen taxieren die Sache nicht als harmlos.
 
Damit kommen wir zu weiteren vorgeschlagenen und angeblich möglichen Orten: Fahren sie mit der Bahn durch den Bözberg, und dann kommen sie zwangsläufig in die geologisch und gesellschaftlich ruhige Landschaft von Bözberg West. Flächen im Niemandsland zwischen Effingen, Bözen und Zeihen und bei Hornussen bieten sich offensichtlich an: Mit den unerwünschten Gebäuden aus dem dicht besiedelten Aaretal in die politisch wenig gewichtige Gegend jenseits des Bözbergs. Das Atommülllager bleibt unter dem Bözberg, es wird einfach von der andern Seite angebohrt.
 
Man braucht kein Hellseher zu sein, wenn man annimmt, der Bözberg, verwedelnd als Jura Ost in den offiziellen Texten erwähnt, habe die grössten Chancen, als sicherste Lagerstätte auserwählt zu werden. Man braucht nur die andern Standortvorschläge zu vergleichen: Können Sie sich wirklich vorstellen, dass neben den Einkaufszentren im Wynenfeld in Suhr die Abpackerei für den schweizerischen Atommüll steht? Und glauben Sie nicht auch, dass auch die ruhige Bevölkerung mit ein Sicherheitsaspekt ist?
 
In diesem Sinne erwecken die unaufgeregten, staatsmännisch besonnenen Reaktionen und das abwartend träge Verhalten der Regionalkonferenz und der Gemeinderäte bei der Nagra Hoffnungen. Die Nagra arbeitet gerne mit konstruktiven und willigen Personen zusammen. Solange es solche gibt, muss die Nagra in ihrem Mitwirkungsprozess keine wichtigen Zugeständnisse machen.
 
Für das Atommülllager gibt es nach heutigem Wissen keine vernünftige Lösung. Weil der Atommüll schon da ist, und sogar noch zunehmen wird, müssen wir mit unvernünftigen und unvollkommenen Lösungen leben lernen. Das heisst aber nicht, dass wir uns aus lauter regionaler Bedächtigkeit über den Tisch ziehen lassen und mit jeder Lösung zufrieden sein sollten: Das einzige, was zählt, ist die Sicherheit. Damit die Nagra die Lösung mit den geringsten Risiken auch wirklich sucht, braucht es nicht Regionalkonferenzen, sondern Widerstand und Forderungen. Wer sich jetzt nicht vehement wehrt, hat künftig schlechtere Karten im Poker um Lösungen und Geld.
 
Auf dem Bözberg und im Fricktal akzeptieren die Behörden still und anständig, dass die Nagra ohne Kosequenzen und ohne entsprechende Abgeltung raumplanerische, regionale und kommunale Absichten missachtet. Glauben die Gemeinderäte allen Ernstes, die Ortschaften könnten sich innerhalb einer Naherholungslandschaft wirtschaftlich entwickeln, wenn die Gegend die Aussicht als mögliches Atommülllager nicht mehr loswird? Werden Fragen um die Attraktivität als Wohn- und Lebensraum, um den künftigen Wert der Liegenschaften und die Höhe der Steuerfüsse in den Entwicklungsseminaren der Gemeinden auch berücksichtigt? Oder bleiben wir auch in diesen Fragen vorläufig ruhig und abwartend?
 
Literatur:
Keller, Heiner: „Bözberg West. Landleben zwischen Basel und Zürich“, Verlag Textatelier.com GmbH., CH-5023 Biberstein. ISBN 3-9523015-2-3. Zu beziehen beim Autor (E-Mail: info@doracher.ch) oder über den Buchhandel.
 
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