Textatelier
BLOG vom: 24.09.2012

Reminiszenzen: Eintritt in Kindergarten und Primarschule

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Das neue Schuljahr 2012/13 ist angelaufen. Die anfänglich täglich eingetroffenen Nachrichten aus Paris sind verklungen. Diesmal gehörte die 6-jährige Nora zu jenen Kindern, die in die Primarschule eingetreten sind. Sie freute sich enorm, will der älteren Schwester nacheifern. Als sie ihr Zuhause verliess, habe sie begeistert gerufen, jetzt lerne sie rechnen.
 
Am Abend jenes 1. Tags verkündete sie, die Schule sei gut. In dieser Klasse möchte sie immer bleiben. Mama wollte wissen, wo ihr Sitzplatz sei. In der ersten Reihe! Dort sehe man alles am besten. Diesen Platz muss sie sich selbst ergattert haben. Anderntags rief sie schon beim Aufwachen, heute sei ihr 2. Schultag, und am Abend erfuhren wir von ihrer Freude an der Hausaufgabe. Es musste ein kleines Gedicht gelernt werden.
 
Solche Begeisterung möchte ich allen Kindern gönnen. Auch unsere Kinder erlebten den Schuleintritt als etwas Aufwertendes. Sie waren glücklich, jetzt zu den Schülern zu gehören.
 
Nun steigen allerlei Erinnerungen auf. Kurze Momente von damals werden wieder einmal beleuchtet. Nichts Weltbewegendes, aber wichtig für ein Kind und auch für die Eltern. Und fürs erste etwas zum Schmunzeln.
 
Am Tag, als Noras Mutter in den Kindergarten eintrat, hatte sie beim Mittagessen viel zu erzählen. Sie berichtete lebhaft, was sich an diesem ersten Morgen abgespielt hatte. Sie kannte schon Namen von Mädchen und Buben. Und die Kindergärtnerin imponierte ihr. Dann, auf einmal, stockte sie und fragte mich: „Wofür hast du den Lieferschein gebraucht?“ Sie sprach damit die Bestätigung der Aufnahme in den Kindergarten an. Mit den Daten zum Schulanfang, dem Ort und der Zeit des Erscheinens. Diese hatte ich mitgenommen. Das Wort Lieferschein amüsierte uns. Felicitas kannte es aus Vaters Werkstatt.
 
2 Jahre später dann der Eintritt in die Primarschule. Wieder war unsere Tochter erwartungsvoll gestimmt. Dass sie den langen Schulweg alleine gehen musste, störte sie vorerst nicht. Den Hinweg bergwärts vom Limmatufer durch den Weinberg bis nach Höngg.
 
Im Schulhaus trafen wir Rolf, damals gerade Zweitklässler geworden, auf dem Weg zum Pausenplatz. Im Kindergarten hatte er mit Felicitas ein gemeinsames Jahr erlebt. Er grüsste uns und wünschte ihr einen schönen Frühlingsanfang. Damals begann das Schuljahr noch im April. Es war ein aussergewöhnlicher Glückwunsch, an den ich mich gern erinnere. Mittlerweile ist Rolf ein einfühlsamer Arzt geworden.
 
Und wie war der weit zurückliegende Schuleintritt für uns Eltern, als wir Erstklässler waren? Primo kann sich nicht an den ersten Schultag erinnern. Aber daran, dass ein Polizist an der Wohnungstür erschien und sich nach seiner Schulreife erkundigte. Was da mit der Mutter genau besprochen werden musste, verstand er nicht. Er hatte aber die Tür geöffnet, als es läutete und stand dann verwundert vor dem uniformierten Mann. Offenbar wurde damals der Polizei die Aufgabe übertragen, den Familien ausländischer Herkunft den anstehenden Schuleintritt im Gespräch zu erklären. Primos Vater besass damals noch den italienischen Pass.
 
Und mein Schuleintritt? Was mich selbst betrifft, daran erinnere ich mich gut. Die Ankunft im Schulhaus. Mutter begleitete mich. Das eher dunkle Treppenhaus. Die offene Tür zu einem Schulzimmer. Davor ein Mann, der uns begrüsste. Er hielt jedem Kind einen schwarzen Zylinder hin. Darin lagen auf gefalteten Zetteln die Namen von 2 Primarlehrern. Einen solchen durften wir ziehen. Und somit unser Los oder Schicksal selber bestimmen. Noch immer bin ich begeistert von diesem Empfang. Dass uns diese Freude geschenkt wurde. Es hat mit einer Spur vermeintlicher Selbstbestimmung zu tun und die begleitet mich ein Leben lang. Auch wenn die Wahl nach einem bestimmten Lehrer nicht möglich war, wir durften das Los selber ziehen. Die Mutter öffnete das Papier und las mir den Namen vor. Sie wusste, dass es ein sehr guter Lehrer sei. So habe ich ihn dann auch erlebt.
 
In Wald, Kanton Zürich, im Schulhaus Binzholz, wurden zu meiner Zeit noch Doppelklassen geführt. Derselbe Lehrer unterrichtete 2 Klassen abwechselnd im selben Zimmer. Während die eine Hälfte schriftliche Arbeiten erledigte, wurde die andere mündlich geschult. Ich fühlte mich wohl, ging gern zur Schule. Gut gefallen hat mir auch der Schulweg. Ich wurde öfters gescholten, weil ich viel zu spät heimkam. Besonders im Winter, wenn wir zeitvergessen im Schnee über Abhänge rutschten.
 
In der Stadt sieht ein Schulweg ganz anders aus. Letizia erlebte ihn 2 Jahre im Taxi. Der Kindergarten in der Nähe unseres Wohnortes wurde aufgehoben und die wenigen Kinder, die es hier gab, im Auto zum Kindergarten ins Nachbarquartier gefahren. Der Treffpunkt für die Abfahrt war unsere Haustür. Ich hatte dafür zu sorgen, dass alle zur rechten Zeit hier starten konnten. Es entstand eine dicke Freundschaft unter diesen 5 Mädchen. Eine Westschweizerin, ein Bernermeitschi, eine Italienerin, eine Spanierin und unsere Letizia, die Zürcherin. Für manchen Taxi-Chauffeur wurden diese lebenslustigen Mädchen zur Nervensäge. Einer fuhr einmal vor den Polizeiposten und rief einen Polizisten heraus, dass er ihnen beibringe, was sich gehöre: Ruhe während der Fahrt.
 
Und in Paris fahren Mena und Nora mit der Metro zur Schule. Mena hat mir kürzlich beim Skypen jene Schachtel gezeigt, in der sie die Metrotickets ihrer bisherigen Primarschulzeit aufbewahrt. Seit 4 Jahren sammelt und bündelt sie diese zu 10er-Päckli. Eindrücklich. So kann ein Schulweg auch dargestellt werden.
 
Nun beginnt eine neue Ära. Erstmals wurde ein unlimitiertes Metroabonnement auch für Primarschüler zum Kauf angeboten. Der „Pass-Navigo“. Musste früher an der Schranke für jede Fahrt ein einzelnes Billett in den Automaten gesteckt werden, genügt heute der digitale Pass, damit sich der Durchgang öffnet. Die Kinder sind stolz darauf.
 
Schon früher hatte ich die Gewissheit, dass ich mit den eigenen Kindern zusammen auch ein Stück persönliche Jugend ergänzend miterlebe. Und ähnlich vollzieht sich nun das Aufwachsen der Enkelinnen und ihr Einfluss auf mich. Sie verbinden mich mit dem aktuellen, modernen Leben. Sie tragen die Zukunft in sich, und das färbt ab, auch wenn sie weit weg von uns aufwachsen.
 
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