Textatelier
BLOG vom: 12.02.2013

Eindeutig mehrdeutig: Zwischen Zeilen lesen, denken

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Langweilige und langatmige Zeilen überfliegt oder überspringt der Leser. So halte ich es auch mit den vielen für mich belanglosen Zeitungsartikeln. Lese ich Geschäftsberichte, kommt es vor, dass bloss meine Augen mechanisch weiterlesen, während meine Gedanken ihre eigenen Wege gehen. Das geschieht mir bisweilen auch bei der Lektüre eines Buchs.
 
Fesselt mich der Text aber, purzelt mir stellenweise die Frage zu: Was hat der Autor damit gemeint? Viele Gefühle der Dichter sind in Poesie eingebettet. Sie lassen sich erahnen – empfinden, doch lassen sie sich schwer fassen und deuten – zumindest nicht eindeutig.
 
Anders in Novellen und Romanen, wo sich das Geschehen aus der Substanz des Verfassers heraus entwickelt. Ist er engherzig, preist er die Helden seiner Fiktion. Ist er weitherzig, gönnt er selbst dem Gauner einen liebenswerten Zug, wie z. B. in Charles Dickens Werken festzustellen ist. Doch gibt es vielerlei Mischformen, die aus dem Bilderbogen der Wirklichkeit gewonnen sind: Zum Helden gesellt sich, wenn nicht gar ein Gauner, so doch ein Kobold im Freilauf der Fantasie. Die Grimasse eines Altersegos schleicht sich in eine Komödie ein und narrt den Leser. Zerfädele er den Lesegenuss nicht, sondern geniesse er die Kapriolen, die ihm der Autor auftischt – denn sie sind dem Leben glaubhaft abgeguckt!
 
William Shakespeare kannte alle Kniffe und Finten, die das Orchester unserer Emotionen und Handlungen bestimmen. Dem sei folgendes Shakespeare-Zitat beigefügt: „All the world is a stage, and all the men and women merely players: they have their exits and their entrances; and one man in his time plays many parts, his acts being seven ages.”  (Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Männer und Frauen sind bloss Spieler: Sie haben ihre Abgänge und Auftritte; und ein Mann spielt in seiner Zeit viele Rollen, seine Akte über sieben Zeiten hinweg.)
*
Die „Reden und Gleichnisse des Tschuang Tse“ von Martin Buber, im Insel-Verlag, Leipzig, erschienen (Ausgabe von 1918), sind eine Fundgrube für Leser, die zwischen Zeilen lesen und denken wollen. Die Schüler befragen den Meister, und er antwortet ihnen.
 
Etwas beschäftigt noch immer meine Gedanken: Wer absichtslos seines Weges geht, der findet – im schroffen Gegensatz zur Formel Wer sucht, der findet. Das Gleichnis unter dem Titel „Die Perle“, möchte ich mit dem Leser teilen:
 
„Der Gelbe Kaiser reiste nordwärts vom Roten See, bestieg den Berg Kun-lun und schaute gegen Süden. Auf der Heimfahrt verlor er seine Zauberperle. Er sandte Wissen aus, sie zu suchen, aber es fand sie nicht. Er sandte Klarsicht aus, sie zu suchen, aber sie fand sie ebenfalls nicht. Er sandte Redegewalt aus, sie zu suchen, aber die fand sie nicht. Endlich sandte er Absichtslos aus, und es fand sie. ,Seltsam fürwahr’, sprach der Kaiser, ,dass Absichtslos sie zu finden vermocht hat.’“
 
Das scheint mir eindeutig mehrdeutig zu sein: Da ich mich eher zu den Suchern zähle und mir dazu meinen eigenen Reim finden will. Ganz allein in meiner Kammer.
 
Wo sonst findet man Schätze, die zwischen die Zeilen eingestreut sind?
 
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