Textatelier
BLOG vom: 28.07.2013

Zum Ostsee-Strand: 2 Familien gestalten den Sonntag

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache,
Viersen/Niederrhein D
 
Der Rundfunkkommentator:
Liebe Hörerinnen und Hörer des Radios für den ganzen Norden, ich freue mich, dass sie unseren Sender eingeschaltet haben! Heute begleiten wir 2 Familien, die einen schönen warmen sonnigen Sonntag geniessen wollen. Die eine Familie wohnt in Hamburg, die andere in einem Badeort an der Lübecker Bucht. Die eine Familie fühlt sich in der Grossstadt mit all den Einkaufsmöglichkeiten und den städtischen kulturellen Angeboten für gross und klein sehr wohl, die andere lebt lieber auf dem Lande bei guter Luft, Einkaufsmöglichkeiten direkt beim Bauern, einem sicheren Platz im Kindergarten für die Kleinen, mit vielen Nachbarn auf Du und Du, wenig Verkehr und mit der Ostsee „vor der Nase“.
 
Vorspiel: Am Vorabend in Hamburg bei Familie K.:
Sie: Liebling, morgen soll es schön warm werden, lasst uns mit den Kindern an die Ostsee fahren!
Er: 2 Stunden im Auto, quengelnde Kinder und das alles bei brütender Hitze, nein danke!
Sie: Nie unternimmst du etwas mit uns! Was bist du nur für ein Familienvater!
 
Der Morgen danach.
1. Akt: Der Rundfunkkommentar berichtet über die ersten Eindrücke des Vaters der Familie S. im Badeort an der Ostsee:
 
Ein Sommertag an der Ostsee am frühen Sonntagmorgen. Herr S. macht sich auf zum Bäcker, um Brötchen für die Familie zu kaufen. Am Kiosk ersteht er wie gewohnt seine Sonntagszeitung. Er läuft über den Strand und macht einen Bogen um Schlafende, die auf Luftmatratzen liegen, alle 4 auf dem Rücken unter dünnen Decken. Bei 2 von ihnen schaut der Kopf heraus, die anderen beiden sind ganz bedeckt. Am Kopfende liegen allerlei Gepäck und eine Gitarre. Direkt am Rand zum Wasser laufen Frühsportler. Auf der Ostsee, etwa 100 m vom Strand entfernt, paddelt ein auf schmalen Brettern stehendes Pärchen. Sie kommen langsam voran. Zwischen den Strandkörben steht ein älterer völlig nackter Mann. Vorbeigänger scheinen ihn nicht zu stören. Dann zieht er sich ein Unterhemd an. Nicht weit davon, in der Nähe des Übergangs zum Bürgersteig, steht eine Frau in normaler Strassenkleidung. Sie schaut in die andere Richtung und vermeidet den Blick auf den Nudisten.
 
Die Ostsee ist ganz flach. Kleinere Wellen plätschern ans Land. Bis auf die 2 Paddler sind nur ein paar kleinere Boote zu sehen, die ankern. Die Strandkörbe sind fast alle noch geschlossen.
 
Herr S. geht zur Strasse zurück, überquert sie und stellt sich in die Reihe der Wartenden an der Bäckerei. Links von ihm an einem Stehtisch ausserhalb des Ladens steht ein einzelner Mann und trinkt seinen Morgenkaffee. Es geht rasch voran. Im Laden bedienen 3 Verkäuferinnen. Sie begrüssen die Kunden mit dem hier üblichen Moin Moin, ein Gruss, der sich den ganzen Tag nicht ändert, obwohl man meinen könnte, er bedeute Guten Morgen. Auch im Laden in der Ecke sitzt bereits ein älteres Paar am Tisch und frühstückt. Herr S. ist an der Reihe und bestellt eine Tüte mit 7 morgenfrischen Brötchen.
 
2. Akt: Familie K. in Hamburg und unterwegs:
Es kommt, wie es kommen muss. Sonntagmorgen um 8 Uhr klingelt der Wecker:
Sie: Aufstehen, wir fahren ans Meer!
 
Maulend und schlecht gelaunt stehen Vater und die Kinder auf, während die Mutter schon in der Küche steht, Kaffee kocht, den Frühstückstisch deckt und eine Provianttasche für den Tag packt.
 
Um 9 Uhr sitzen alle im Auto. Die Fahrt geht los. Die ersten 20 km gehen zügig voran.
 
Doch dann kommt im Radio der Verkehrsbericht: Autobahn 1: An diesem sonnigen Morgen hatten viele Strandhungrige die Idee, an die Ostsee zu fahren. An der Baustelle X hat sich bereits jetzt ein 12 km langer Stau gebildet. Das Verkehrsaufkommen lässt befürchten, dass er sich sehr rasch ausdehnen wird.
 
Sie: Dann dauert es eben etwas länger, bis wir da sind. Wir haben ja genug zu essen und zu trinken im Wagen!
Er: Ich habe es doch geahnt, dass das eine ganz blöde Idee war!
Der Junge: Papa, wann sind wir endlich da?
Sie: Du hast es doch im Radio gehört, es dauert noch!
 
3. Akt: Familie S., im Badeort
Die Familie sitzt am Frühstückstisch und lässt sich die frischen Brötchen schmecken.
Herr S.: Es ist schon richtig warm draussen, und noch sind nicht so viele Touristen da! Lasst uns eine Stunde an den Strand gehen!
Seine Frau: Dann aber sofort, bevor es zu voll und zu warm wird!
 
Sie zieht die Kinder an, Herr S. sucht die Badesachen zusammen. Schon bald geht es los. Es sind nur 200 m bis zum Strand. Er begrüsst die Frau, die die Strandkörbe vermietet und die Tageskarten für die Kurtaxe verkauft. Ansässige sind davon befreit.
 
Herr S.: Moin, wird schön heute!
Die Strandfrau: Endlich, wurde auch Zeit, es muss noch ein wenig Geld reinkommen, bevor die Saison wieder vorbei ist!
 
Familie S. geht über den Sandstrand ganz nah ans Wasser und stellt einen Sonnenschirm auf. Der Vater geht mit dem Ältesten ins Wasser, er versucht sich mit Schnorcheln. Die Kleine spielt im Sand und holt mit ihrem Eimerchen Wasser aus der Ostsee und schüttet es in das eben gegrabene Loch.
 
4. Akt: Die Hamburger im Auto
Nur ganz langsam geht es voran, anfahren, 10 m fahren, abbremsen, stehen und wieder anfahren. Schrittweise, zu Fuss wäre man schneller.
 
Er: Verdammter Mist! Muss das schon um 10 Uhr so voll sein!
Sie: Fluche nicht vor den Kindern! Wir können doch nichts dafür!
Er: Aber du! Wer wollte unbedingt ans Meer?
Sie schweigt, sie hatte es ja nur gut gemeint. Ein Familientag, von dem alle etwas haben!
Die Kinder: Wann sind wir da? Wir wollen baden!
Er: Mund halten dahinten! Ich muss mich konzentrieren!
 
Schon wieder ist eine halbe Stunde vorbei. Im Radio: Der aktuellste Verkehrsbericht für den ganzen Norden! Autobahn 1: Wegen der Baustellen und wegen des hohen Verkehrsaufkommens hat sich der Stau auf 20 km verlängert.
 
Der Fahrer unterdrückt einen weiteren Fluch, was ihm nur teilweise gelingt.
Sie: Reiss dich doch zusammen, wenn die Kinder das nachplappern, was dann?
Er schweigt.
 
5. Akt: Familie S. am Badeort
Herr S.: Genug für heute! Sonst verbrennen wir noch! Das Schnorcheln klappt schon ganz gut!
Und du, er dreht sich zu seiner Jüngsten um, reibst dir die Äuglein, wir gehen jetzt zurück, dann kannst du in dein Bettchen!
 
Familie S. packt ein und geht zurück zu ihrem Haus. Der Strand füllt sich zusehends. Die Hauptstrasse ist stark befahren. Sie müssen aufpassen, damit alle heil überqueren.
 
Zu Hause angekommen, legt Frau S. die Kleinste ins Bett, der Ältere spielt im Garten, und Herr S. geniesst in Ruhe seine Sonntagszeitung.
 
6. Akt: Der Rundfunkkommentator:
Am späten Vormittag ist der Badeort bereits sehr belebt. Eine lange Autoschlange bewegt sich ins Städtchen. Die Parkplätze sind schon alle voll, und die Fahrer beginnen, ihre Fahrzeuge auf dem Grasrand an der Seite der Strasse abzustellen, obwohl das nicht erlaubt ist. Die Politessen sind eifrig damit beschäftigt, Bussgeldbescheide auszustellen. Die Läden mit Bekleidung, Badeartikeln und Spielzeug haben geöffnet. Die Terrassen der Restaurants sind alle belegt. An der Eisdiele steht eine lange Schlange.
 
Der Strand ist voll, die Strandkörbe besetzt. Einzelne Badende sind im Wasser. Man kann etwa 100 m hinein laufen, bis es so tief ist, dass man nicht mehr stehen kann.
 
Das Wasser hat nach der Säule am Rand 20 Grad C. Viele Sommergäste laufen auf den Fussgängerwegen hin und her. Es sind meistens Tagesgäste, die aus dem etwa 80 km entfernten Hamburg gekommen sind. Sie sind früh angereist und konnten ihr Fahrzeug noch auf den örtlichen Parkplätzen abstellen.
 
7. Akt: Die Hamburger im Auto
Ein Kind schläft, das andere weint: Ich will aber, dass wir jetzt da sind!
Er: Hör auf zu nerven, was kann ich für den Verkehr?
Sie tröstet das Kind: Hab’ doch etwas Geduld!
 
Der Verkehrsfunk meldet:
Wegen der vielen Besucher aus dem Umland sind schon jetzt alle Parkplätze an der Küste auf einer Länge von 30 km voll belegt. Die Besucher werden gebeten, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen. Auf der Autobahn 1 von Hamburg nach Lübeck staut sich der Verkehr bereits auf 40 km.
 
Er: Besser wir geben auf. Es hat keinen Zweck, zu viele hatten diese Idee mit dem Meer, und jetzt haben wir den Salat!
Sie, ganz zaghaft und schuldbewusst: Und nun?
Er: Wir fahren runter von der Autobahn und suchen uns ein nettes Landlokal mit Gartenterrasse und Spielplatz. Da gehen wir lecker essen!
 
Frau K. atmet auf. Er wird nicht so sauer sein, dass er die ganze Woche schlechte Laune hat! Die Kinder weinen und maulen im Chor: Wir wollten doch an die Ostsee!
Sie: Ihr seht doch, es geht nicht, wartet ab, es wird bestimmt noch schön!
 
8. Akt: Der Radiokommentator:
Die Erfahrung zeigt also: Der frühe Vogel fängt den Wurm, wie es so schön heisst. Und: den Letzten beissen die Hunde. In einem solchen Fall ist es besser, eine Niederlage einzugestehen und die daraus resultierende Enttäuschung einzustecken und aufzugeben. Aufgeben heisst nicht immer auch verlieren, manchmal kann man dadurch nur gewinnen!
 
9. Akt
Während Familie S. am Badeort ihren Mittagsschlaf hält, haben die Hamburger die Autobahn verlassen und nach wenigen Kilometern ein Restaurant gefunden, das sehr malerisch und schattig in der Nähe eines kleinen Waldes liegt. Sie kehren ein und lassen es sich gut schmecken. Die Kinder spielen. Danach gehen alle in den Wald und sammeln Waldbeeren, die dort reichlich zu finden sind. Nicht zu spät am Abend kommen sie wieder zu Hause an.
 
Ein schöner warmer Sommertag neigt sich dem Ende zu.
 
Der Schlusskommentar
Das nächste Mal wird sich die Familie in Hamburg genau überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, in Hamburg zu bleiben und vielleicht eine Hafenrundfahrt zu machen oder in den Zoo zu gehen, als sich auf die Autobahn zu begeben und dort in der Hitze stundenlang im Stau zu stehen. Oder: sie stehen bereits um 5 Uhr auf, dann könnte der Tag an der Lübecker Bucht noch klappen! In diesen Sommertagen ist die Familie, die direkt an der Ostsee wohnt, natürlich im Vorteil, sie hat alles vor der Tür. Aber wie sieht das im Winter aus? Wir werden in einigen Monaten über beide Familien berichten, wie sie einen regnerischen Novembersonntag verbringen!
 
Jetzt machen wir Musik und bedanken uns bei allen Hörerinnen und Hörern! Wir freuen uns wie immer über ihre Zuschriften!
 
Noch am selben Tag schreibt ein Hörer der Sendung an den Verlag einen Kommentar in Gedichtform: 
Der missglückte Badetag
Der Himmel ist blau, der Tag wird schön,
wir wollen so gern an die Ostsee gehen.
Gesagt, getan, die Aussichten locken.
Und dann kommt der Verkehr ins Stocken.
 
Denn erstens: kommt es anders, zweitens: als man denkt!
 
Die Strassen sind voll, der Verkehr verkehrt,
Es wird schwierig für den, der noch begehrt,
den Tag unbeschwert am Strand zu liegen.
Er wird keinen einzigen Parkplatz mehr kriegen.
 
Denn: erstens…
 
Wer jetzt noch keinen hat, der findet keinen mehr.
Wird in der Hitze schwitzen auf der vollen Autobahn.
Wird kein Durchkommen haben zum Strand und ans Meer.
Wird fluchen und denken: Warum geht’s nicht voran?
 
Denn erstens…
 
Du Reisender, verlasse die Autobahn
Vor Nachmittag kommst du eh’ nicht mehr an!
Im Dorf lädt eine Terrasse zum Verweilen ein.
Es muss nicht der Strand und die Ostsee sein!
Entspann’ dich und freu’ dich des Lebens,
Die stockende Fahrt war nicht vergebens.
 
Denn erstens…
 
Die Bedienung ist nett, das Essen mundet,
Umgebung und Landschaft werden erkundet.
Der Weg führt durch den kühlen Wald.
Die schlechte Stimmung hebt sich bald.
 
Denn erstens…
 
Wie war der Tag, wird man morgen fragen.
Schön und  entspannt, hört man sich sagen.
Strand und Meer, hat man sie noch so gerne
sind manchmal unerreichbar wie die Sterne.
 
Denn erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! 
 
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