Textatelier
BLOG vom: 08.07.2014

Das „Kohlenpöttisch“: Einstieg ins Ruhrgebietdeutsch (2)

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Ich bin im Ruhrgebiet D, auch Kohlenpott genannt, im Ortsteil Buer-Erle gross geworden. Dort wird selbstverständlich Ruhrgebietdeutsch gesprochen. Eigentlich gehört Erle, wie auch Buer, zur Stadt Gelsenkirchen. Die Menschen aus Erle fühlten sich aber immer mehr zu Buer hingezogen als zu Gelsenkichen. Nur auf Schalke ist man natürlich stolz. Schalke ist wie Erle, Buer, Resse und viele andere auch ein Stadtteil von Gelsenkirchen. Der Fussballplatz des Vereins Schalke 04 war ursprünglich in Schalke, wie aus den Namen hervorgeht. Mein Vater ist direkt neben dem ursprünglichen Platz aufgewachsen und hatte sich immer ein paar Pfennig verdient, wenn gespielt wurde, indem er den Platz hinter dem Haus, in dem er mit der Familie wohnte, als Parkplatz vermietete. Inzwischen gibt es ein modernes neues Fussballstadion, übrigens am Rande von Buer.
 
Ich erinnere mich an einen Vers: 
„Kommste nach Buer – krisse ´ne Uhr,
kommste nach Erle – krisse ´ne Perle,
kommste nach Resse – kriss eine vor de Fresse!“ 
Übrigens:
 
Von den Jungs aus Resse hap ich auch ma Kloppe gekriecht, ich weiss bis heut´ noch nich warum!“
 
Rivalitäten und Vorurteile zwischen den Stadtteilen oder auch Städten im Ruhrgebiet waren normal. Nur wo man selbst wohnte, war es am besten: 
Kommste nach Bottrop, kriss ein aum Kopp dropp.
Kommste nach Essen, gibt nix zu fressen.
Kommste nach Gladbeck, klaunse dich Rad wech.
Kommste nach Buer, biss inne Uhr.
In ganz Oberhausen, triffs nur Banausen."
 
Das Leben war hart. Die Bergleute, auch Kumpel genannt, arbeiteten unter Tage, also bis 1000 m und tiefer unter der Erde, um dort Kohle, „das schwarze Gold“, zu fördern.
 
Die Kumpel hatten ihr eigene Sprache. Dort zu arbeiten hiess „aufem Pütt malochen“, wobei „malochen“ hart arbeiten bedeutet und der „Malocher“ war der Arbeiter.
 
Für die „Maloche“ gab es „Zaster“, also einen Monatslohn. Geld ist wichtig, also gab es auch viele Namen dafür: „Asche, Knete, Mäuse, Möpse, Patte, Rabotti, Schotter“.
 
Geld wird man auf verschiedene Art und Weise wieder los, man kann „einen Fuffi plattmachen“, also einen Fünfzig-Mark-Schein ausgeben oder auch verspielen;
es „verbrettern“, also zum Fenster hinauswerfen, sprich: sinnlos ausgeben; „verplästern“, was in grossem Stil ausgeben bedeutet. Man könnte Geld aber auch sparen und kleine Beträge zu Hause aufbewahren, was „bunkern“ bedeutet.
 
Manch ein Malocher wollte sich „einen Flitzer“ kaufen, wenn die „Appelkitsche“ oder auch „Eierkitsche“, das alte langsame Auto, die Schrottbeule, die Klapperkiste, nicht mehr tragbar war. Da war es schon gut, wenn man ein wenig „Massel“, also Glück, gehabt hat und für „die Karre“ keine „Miesen“ machen musste, also „in die roten Zahlen“ rutschte. Man kann auch Gefahr laufen, als jemand dazustehen, der „strunzt“, also als Angeber angesehen wird, „auf die Pauke haut wie Graf Rotz vonne Pelzwiese“. Auch „auf Pump, auf Kubitschko“ kaufen, ist nicht so gut.
 
Am besten, man ist „Einspänner“, Junggeselle ohne Verpflichtungen und Anhang. Es wäre möglich, dass er bald mit einer „schnuckeligen Ollen“ in „seine Karre“ „herumkutschiert“ und „einen Zahn zulegt“, also etwas schneller fährt. Neider werden dann annehmen, er habe „eine Tussi abgeschleppt“, wobei das eine Frau bezeichnet, die häufiger den Freund wechselt, und ihn als „Seger“ bezeichnen.
 
Ein schönes Beispiel, wie man „eine Tussi, ein lecker Mäusken, ein Etteken, eine Edelschnalle“ „ abschleppen tut“ oder „angräbt“ oder „anbaggert“, kann man in der Tragödie „Faust I“ von Johann Wolfgang von Goethe in der Szene, als Faust Gretchen begegnet, nachlesen. Übertragen ins Ruhrgebietsdeutsch liest sich das dann ausschnittsweise so: 
Faust:
Ey, lecker Mäusken, daaf ich wagen,
Dich en bissken anzugraben?

Gretchen:
Is nix mit Baggern, bin kein Mäusken,
Geh nur solo inn’t Kabäusken.
(Sie macht sich los und ab.)

Faust:
Verdorri, wat en lecker Dier,
Echt sisselmissel wurdet mir.
Wat en Zinken, wat ne Schnüss,
En bissken schnippisch se auch is.
Kulleräugskes, gaanich dumm,
Dat haut den stärksten Fuhrmann um.
Und angepillert hatse mich,
Dat krich ich ausse Birne nich.

(Mephistopheles tritt auf.)

Faust:
Die Olle musse mich besorgen.

Mephistopheles:
Wat für eine?

Faust:
Lieber jez als morgen.

Mephistopheles:
Dat Etteken, dat grad vorbeigedackelt?
Dat hat dich richtich angefackelt?
Von ihrn Popen kam den Dopp.
Sacht zu den schwatten Schlunzekopp,
Se hätt kein Sündken, wär ne Töffte,
En Seger se nich ham tun möchte.
Bei sonne ipschig Edelschnalle
Sein Teufel seine Muckis alle.
Faust: Mephistopheles:
Faust: Mephistopheles:
Wat für eine?

Faust
Lieber jez als morgen.

Mephistopheles
Dat Etteken, dat grad vorbeigedackelt?
Dat hat dich richtich angefackelt?
Von ihrn Popen kam den Dopp.
Sacht zu den schwatten Schlunzekopp,
Se hätt kein Sündken, wär ne Töffte,
En Seger se nich ham tun möchte.
Bei sonne ipschig Edelschnalle
Sein Teufel seine Muckis alle. 

(Copyright Verlag Henselowky Boschmann, Bottrop, http://www.vonneruhr.de
Haben Sie „nicht die Bohne“ verstanden? Oder sind Sie der Meinung, Weltliteratur dürfe man nicht so verhunzen, das komme „gar nich in die Tüte“ und ich als Schreiberling hätte „nicht mehr alle Tassen im Schrank“?
 
Das möchte ich nicht auf mir sitzen lassen. Deshalb werde ich Ihnen noch ein paar Grammatikregeln der Ruhrgebietssprache vorstellen:
 
Der Genitiv und der Dativ existiert nicht und wird durch „von“ und „sein“ ersetzt: „Dat is die Karre von mein Bruder.“ „Der Heiermann ist meine Olle ihrer.“  (Das ist das Fünfmark-Stück meiner Frau.)
„Gib mich sofort meine Kohle zurück“ (Gib mir sofort mein Geld zurück.)
 
Die Mehrzahl kann man immer erkennen, wenn ein „s“ angehängt wird: „Birnens“, „Fensters“.
 
Pronomen kann man mit Verben „verschmelzen“: „Mir machtet immer Spass.“ „Wat willze?
 
„In den“ = „im“, „in der“ = „inne“, „in den“ = „inn“.
 
Mit „tun“ und „machen“ kann man viel ausdrücken:
Tu dich ma anstrengn!“
„Ich tu mir ma wat einschütten.“
„Machma dat Fenzer auf.“
 
 „Das“ und „dass“ ist immer „dat“:
„Dat is alles!“ – Weisse, datter kommt?“(Weisst du, dass er kommt?) – „Dattert dat kann!“ (Dass er das kann!)
 
Ich spreche kein „Kohlenpöttisch“ und konnte es damals nur bruchstückweise. Aber verstanden habe ich alles. Vielleicht verstehen Sie jetzt auch etwas mehr, „wennse ma inn Ruhrpott kommn!“ Das ist lohnenswerter als Sie es vielleicht meinen!
 
 
Quellen
„Lexikon der Alltagssprache des Ruhrgebietes“,
Verlag Heneslowsky, Rainer, Essen, 1982
 
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