Textatelier
BLOG vom: 17.04.2015

Die Wirkungen von Staatsbesuchen: Hollande in der Schweiz

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
 
Der Staatsbesuch des französischen Präsidenten François Hollande (60) in der Schweiz vom 15. und 16. April 2015 erinnerte mich an die gute alte Zeit mit ihrer handfesten Diplomatie. Vertreter zweier Länder trafen sich, suchten bei Problemen einvernehmliche Lösungen, bauten ihre Handelsbeziehungen aus. Sie verbreiteten Signale von Freundschaft, nahmen sich Zeit. Die Schweiz stand bis vor wenigen Jahrzehnten noch nicht grossen, anonymen Staatenkonglomeraten mit irgendwelchen wechselnden Funktionären gegenüber, die auf eine schwer verständliche Weise schalten und walten und ihre Beiträge zu einem internationalen Desaster leisten. Die einzelnen Staatsgebilde hatten und pflegten ihre Selbstständigkeit, und man wusste einigermassen, woran man war. Abmachungen galten.
 
Es spielt im Rahmen dieser Betrachtung keine Rolle, wie es um den Erfolgs- und Beliebtheitsstatus Hollandes in unserem Nachbarland steht; solche Aspekte fallen in den Zuständigkeitsbereich der Franzosen, für deren Lebensstil und für deren Genussfähigkeit wir immer eine ordentliche Portion Bewunderung übrig haben. Frankreich bedeutet für uns, weil wir es meistens aus der Touristenperspektive wahrnehmen, Lebensfreude, Lockerheit. In Bezug auf den Staatsbesuch von François Hollande, dem ersten solchen Ereignis seit Jacques Chiracs offizieller Reise in die Schweiz (1998), ist für uns die Feststellung wichtig, dass der Sozialist Hollande als Freund in die Schweiz kam. Solche nachbarschaftlichen Freundschaften sind besonders wichtig; eine lockere Atmosphäre ist immer hilfreich. Die Fragen rund um Steuerprobleme einschliesslich des Bankgeheimnisses wurden abgehakt, nicht aber jene Divergenzen hinsichtlich der Personenfreizügigkeit. Hier besteht noch ein Verhandlungspotenzial. Über 150 000 Grenzgänger aus Frankreich arbeiten in der Schweiz. Auch im Bereich von Forschung und Bildung gibt es enge Beziehungen; diesbezüglich ist Frankreich für die Schweiz eines der bedeutendsten Partnerländer.
 
Es ging also im Wesentlichen um 2 einzelne Länder und nicht um den EU-Kraken, dessen Tentakeln sich gleichwohl überall einschleichen. Frankreich als EU-Gründungsmitglied spielt zusammen mit Deutschland in diesem Klub eine tragende Rolle; so ist es eben. Und diese EU hat sich nicht eben als Erfolgsmodell erwiesen.
 
Im Kontext des Staatsbesuchs habe ich die druckfrische Broschüre „Bescheidener Vorschlag der Eurokrise“ von Yanis Varoufakis (Verlag Antja Kunstmann, München 2015) gelesen. Darin versucht der derzeitige griechische Finanzminister, Mitglied der Regierung von Alexis Tsipras, die gesamte Missgeburt der Europäischen Union zu reformieren, denn erst auf einer gesunden Grundlage könnten die Schuldenprobleme der in den Ruin getriebenen EU-Länder gelöst werden. Die kranke EU brauchte fürwahr eine wirksame Erholungskur. „Wenn der Euro durch die zentrifugalen Kräfte zerrissen wird, die heute am Werk sind, werden die Folgen seines Zusammenbruchs so schwerwiegend sein und der Aufstieg des Nationalismus so bedrohlich, dass es eine Illusion ist, zu glauben, von der EU könnte mehr übrig bleiben als ihre Initialen. Da Europa aktuell ein Drittel der weltweiten Wirtschaftskraft repräsentiert – und die Weltwirtschaft muss sich noch vom Crash im Jahr 2008 erholen –, sind die Herausforderungen wahrhaft global.“ Varoufakis zeigt nach solch einer aufrüttelnden Einstimmung Lösungsmöglichkeiten für die 4 miteinander verbundenen Felder auf: Bankenkrise, Schuldenkrise, Investitionskrise und Soziale Krise.
 
Doch die verfuhrwerkte EU nimmt ihren bisherigen Lauf. Und ich kann nicht glauben, dass es noch vernunftbegabte Menschen wie den Grossteil unseres Bundesrats geben kann, die ihr Seelenheil bei der Zuflucht auf ein sinkendes Schiff suchen. Bisher war es nämlich immer so, dass Menschen bei der ersten Gelegenheit von untergehenden Booten abgesprungen sind. Inzwischen hat sich das Verhaltensmuster umgedreht. Man will am Untergang aktiv teilhaben.
 
Dabei zeigt das Schiff bereits deutliche Merkmale des Zerfalls. Eines davon manifestiert sich in der vorauseilenden Sprachentwicklung im Begriff Grexit, einer Zusammenführung von Wortteilen aus dem englischen Greece = Griechenland und Exit = Ausstieg. Eine Schweizer Sterbehilfeorganisation trägt auch diesen Namen. Ebenfalls sind in Grossbritannien Ausstiegsszenarien zu orten, wo eine Volksbefragung naht, und sogar Österreich entwickelt sich zu einem EU-Austrittskandidaten (seit der Genehmigung des überparteilichen EU-Austritts-Volksbegehrens durch das Innenministerium am 07.01.2015).
 
Natürlich ist es schwer bis beinahe unmöglich, die EU-Zugehörigkeit aufzukündigen, wenn man einmal in diesem Geflecht verstrickt ist. Nur gerade Grönland ist es als bisher einzigem Gebiet gelungen, aus der EU (damals noch EG = Europäische Gemeinschaft) auszutreten. Die Begründung findet sich darin, dass Grönland als Teil Dänemarks mit dem Mutterland in die ehemalige EG eingeschleust worden war, ohne dazu etwas zu sagen zu haben. Die Bewohner Grönlands hatten sich seit je gegen einen EG-Beitritt ausgesprochen. Doch die damals rund 14 000 Stimmen der Insulaner gegen einen Anschluss fielen im Rahmen der gesamt-dänischen Abstimmung nicht ins Gewicht. Da die grösste Insel der Welt nun Teil der EG war, konnten europäische Flotten Grönlands Gewässer ausbeuten und fremde Konzerne auf Grönland nach Bodenschätzen graben. Bereits nach 12 Jahren, am 01.01.1985, verliess das damals an Autonomie gewinnende Grönland die EU mittels einer Volksbefragung wieder. Die Grönländer taten gut daran.
 
Das Volk hat erfahrungsgemäss  immer das bessere Gespür für zweckmässige, ihm und dem Land dienende Lösungen. Daraus erklärt sich, dass demokratische Einflussnahmen die Regierungstätigkeiten erschweren, besonders in grösseren politischen Gebilden, und entsprechend unbeliebt sind. Staatsbesuche, die volksnah angelegt werden, etwas mit dem berühmten „Bad in der Menge“ zu tun haben und Fabrikbesichtigungen, wie jene von Hollande zur Erkundung unserer fabelhaften Berufslehre, die Fachkräfte wie Handwerker hervorbringt und den Schwerpunkt nicht auf die Aufzucht eines akademischen Proletariats legen, können die unterschiedlichen Fronten aufweichen, das Selbstbewusstsein der Völker fördern und dafür sorgen, dass auf Augenhöge verkehrt und verhandelt werden kann. Staatsbesuche sind keine Truppenbesuche von Befehlshabern, welche die Soldateska auf Kurs zu bringen haben. Sie sind ein sanftes politisches Werkzeug.
 
Staaten bestehen aus den Regierungen und dem Volk in seinem Lebens- und Wirtschaftsraum. Es braucht Zeit und Interesse, um das alles zu ergründen. Diesbezüglich hat der Hollande-Staatsbesuch im traditionellen Stil zuversichtlich und milde gestimmt.
 
 
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