Textatelier
BLOG vom: 02.06.2015

Aargau: Leben im freiesten Kanton des glücklichsten Lands

Autor: Walter Hess, Publizist (Textatelier.com), Biberstein AG/CH
 
 
Glück, sagt man, müsse der Mensch haben. Ich hatte bisher immer den Eindruck, das Glück verfolge mich auf Schritt und Tritt. Die neueste Bestätigung: Durch eine gemeinsame Anstrengung der Vereinten Nationen (Uno) und der Organisation Avenir Suisse, die nachdenkt und sich in die Zukunft hineindenkt („Denkfabrik“ nennt sie sich), ist unwiderlegbar nachgewiesen, dass ich im freiesten Kanton des glückseligsten Lands dieser traurigen Erde lebe: im Aargau in der Schweiz – und zwar mit deutlichem Abstand vor dem zweitrangierten Kanton Schwyz.
 
Freiheit bedeutet in der Untersuchung ein selbstbestimmtes Leben. Und dass mein Wohnort, die autonome Gemeinde Biberstein am Jurasüdfuss oberhalb der Aare, des Auenschutzparks und des ebenen bis hügeligen Mittellands, an Wohnqualität Rekorde bricht, weiss ist aus eigener über 40-jähriger Anschauung und Beurteilung; weiterer diesbezüglicher Feldforschungen bedarf es nicht.
 
Die relativ freien Länder
Der Reihe nach: Der World Happiness Report, zum 3. Mal herausgegeben vom Earth Institute der Columbia Universität in New York, hat am 23.04.2015 die Schweiz als das glücklichste Land der Welt gekürt. Sie hat somit Dänemark von der Spitzenposition verdrängt, möglicherweise, weil das Alpenland etwas mehr Distanz zur EU und damit mehr Unabhängigkeit hat. Island folgt auf dem Platz 3. Auf den Rängen 4 bis 10 landeten Norwegen, Kanada, Finnland, die Niederlande, Schweden, Neuseeland und Australien. Von den Nachbarländern der Schweiz kam Österreich auf Platz 13, Deutschland auf Platz 26, Frankreich auf Platz 29 – und Italien, etwas abgeschlagen, auf Platz 50. Die römische Glücksgöttin Fortuna scheint etwas müde zu sein. Die USA belegen in der Rangliste hinter Mexiko den 15. Platz. Grossbritannien rangiert auf dem 21. Platz, nicht eben berauschende Leistungen. Die von US-Krieg und Gewalt erschütterten Länder Afghanistan und Syrien landeten gemeinsam mit 8 afrikanischen Staaten auf den letzten Plätzen. Der ebenfalls unter einem jahrelangem, von den USA angezettelten Krieg leidende, in seinen Grundfesten zerstörte Irak erreichte im Index immerhin Platz 112 – und lag damit noch vor Südafrika, Indien, Kenia und Bulgarien, was ich persönlich allerdings schwer nachvollziehen kann.
 
Insgesamt erforschten die Glücksjäger 158 Länder, platzierten Glück vor Verstand. Offiziellen Angaben zufolge hatten es die Wissenschaftler auf Faktoren wie Einkommen, Lebenserwartung, soziales Netz und gefühlte Freiheit abgesehen, die sie dann verglichen. Dahinter stand angeblich die edle Absicht, via den Glücks-Index die Regierungen weltweit zu einer besseren Politik zu animieren und sie erkennen zu lassen, dass hinsichtlich der nationalen Glücksförderung noch einiges zu tun wäre.
 
„Nicht Geld allein, sondern auch Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen und Gesundheit“ machen laut Jeffrey Sachs, Direktor des Earth-Instituts, ein „glückliches Leben“ aus. Seine Mitarbeiter waren John Helliwell aus Kanada und Richard Layard aus Grossbritannien. Wer den Originalbericht lesen möchte, findet über diesen Link Zugang:
 
Vertrauen! Vertrauen wir also dem Bericht; als Schweizer haben wir mit dem Resultat ohnehin keinerlei Mühe. Wir müssen uns nur bemühen, unser Glück nicht mit Füssen zu treten, bei der Wahl der Obrigkeiten um- und vorsichtig zu sein.
 
Der Report hat nur bestätigt, was wir schon immer gewusst haben. Und somit können wir uns dem Thema
 
Welches ist der freieste Kanton im Lande Schweiz?
zuwenden. Der entsprechende Originalbericht von Samuel Rutz und Marion Hämmerli findet sich in der Zeitschrift „avenir sélection“ 2014/2015 (Seiten 3ff.). Auch diese Arbeit soll, diesmal in den Schweizer Kantonen, „Verbesserungsmöglichkeiten für eine freiheitlichere Ausgestaltung von kantonalen Gesetzen und Institutionen aufzeigen“. Daraus lernt man, dass einem das Glück nicht einfach in den Schoss fällt. Es ist nicht eine Gabe des Schicksals (Glück haben) – ein eigenes Zutun ist nötig; man muss der Schmied seines Glücks sein.
 
In der Einleitung zeigen die Forscher von Avenir Suisse auf, was sich in der diesbezüglichen Index-Branche international so alles tut, und sie gelangen im Prinzip zu den gleichen Feststellungen wie die World-Happiness-Experten in New York:
 
„Die Schweiz gilt als offene, freiheitlich geprägte Volkswirtschaft mit starkem Schutz von Eigentum, geringer Korruption, günstigen Investitions- und Innovationsbedingungen, stabiler Währung und massvoll reguliertem Arbeitsmarkt. Gemäss gängigen ökonomischen Freiheitsindizes (wie etwa dem Economic Freedom oft he World Index des Fraser-Instituts oder dem gemeinsam vom ,Wall Street Journal‘ und der Heritage Foundation herausgegebenen Index of Economic Freedom) gehört die Schweiz weltweit zu den freiesten Volkswirtschaften überhaupt.“
 
Dabei gibt es in der Schweiz, die aus 26 Kantonen mit grosser Autonomie besteht, unterschiedliche Verhältnisse, sogar einen internen Standortwettbewerb, der gut für Innovationen ist, aber weniger erfreuliche Zustände auch nicht ausschliesst: „Manche Kantone kennen weitgehende Einschnitte in die zivile Freiheit ihrer Bürger (etwa bei der Videoüberwachung oder bei der freien Schulwahl), während andere mit hohen Steuern und Abgaben die ökonomische Freiheit ihrer Einwohner stark einschränken“ (Avenir Suisse).
 
Hier setzt der zum 2. Mal ausgearbeitete Avenir-Suisse-Freiheitsindex an. Er misst die freiheitliche Prägung von Gesetzen und Institutionen in den Kantonen in der Schweiz, auch wenn sich die Freiheit als subjektives Konzept im Prinzip nicht exakt messen und auf eine simple Zahl reduzieren lässt. Die so erlangten Resultate sind auf dem interaktiven Online-Tool abrufbar:
 
Bei der Ausarbeitung des Indexes wurden 12 ökonomische und 9 zivile Indikatoren erfasst. In Bezug auf die ökonomische Freiheit wurden die 4 Teilbereiche Steuern und Umverteilung, Staatsfinanzen, Marktinterventionen und Gewerberegulierungen betrachtet. Die im Index abgebildeten zivilen Freiheiten ihrerseits decken die Teilbereiche Bildungswesen, Gesundheit und Prävention, Polizei- und Bauwesen sowie das Verhältnis zwischen Kirche und Staat ab. All diese zivilen Lebensbereiche unterliegen der Kantonshoheit und können durch die gesetzgeberische Tätigkeit, zum Beispiel zu den Themen freie Schulwahl, Nichtraucherschutz (= Raucherbevormundung) oder Videoüberwachung unterschiedlich reguliert werden.
 
Die Zusammenfassung und Darstellung der unterschiedlichen Verhältnisse in der Schweiz von Avenir Suisse: „Das Ranking 2015 zur Freiheit in den einzelnen Schweizer Kantonen, das aufgrund von Daten aus dem Jahr 2012 erstellt wurde, wird erneut vom Kanton Aargau angeführt, der sich mit deutlichem Abstand vor den Kantonen Schwyz, Glarus, den beiden Appenzell und Nidwalden positioniert und sowohl im ökonomischen als auch zivilen Bereich glänzend abschneidet. Der zweitplatzierte Kanton Schwyz erreicht für die ökonomischen Indikatoren beinahe die Werte des Spitzenreiters Aargau, liegt aber im zivilen Bereich nur wenig über dem Kantonsdurchschnitt. Während Glarus, Appenzell a. Rh. und Nidwalden im ökonomischen und zivilen Bereich deutlich überdurchschnittlich abschneiden, setzt sich das gute Resultat des Halbkantons Appenzell i. Rh. aus einer überdurchschnittlichen zivilen und einer durchschnittlichen ökonomischen Freiheit zusammen
 
Das breite Mittelfeld wird angeführt vom Kanton Jura, dessen überdurchschnittliches Resultat durch einen Spitzenwert im zivilen Teil des Freiheitsindexes zustande kommt, und umfasst neben dem Tessin die meisten Deutschschweizer Mittellandkantone. Im unteren Mittelfeld liegen neben den Ostschweizer Kantonen St. Gallen und Thurgau auch die Westschweizer Kantone Fribourg, Bern, Neuenburg und die Waadt. Während die beiden Ostschweizer Kantone durch grosse zivile Freiheitsbeeinträchtigungen auffallen, erklärt sich das im Kantonsvergleich unterdurchschnittliche Resultat der Westschweizer Kantone umgekehrt mit dem schlechten Abschneiden im ökonomischen Bereich. Das Schlusslicht des Freiheitsindexes bilden, wie bereits im letzten Jahr 2014, die Kantone Uri, Graubünden und Genf, die aus ökonomischer und ziviler Warte klar unterdurchschnittlich abschneiden.“
 
Meine Freude an der Spitzenposition des Aargaus, die wohl rund eine halbe Million Menschen mit mir teilen, wird dadurch vergrössert, dass der überglückliche Kanton in der Restschweiz praktisch nur auf Verachtung, Hohn, Spott und Häme stösst. Grundlos! Kein hohles Kabarettprogramm, das nach Lachern ringt, kommt ohne einen abgedroschenen Seitenhieb auf die angebliche Minderwertigkeit dieses Kantons der Mitte aus; eine Ausnahme ist der Aargauer Komiker Peach Weber (Wohnort: Hägglingen), der die Qualitäten seiner Heimat richtig einzuschätzen versteht.
 
Wer es im Übrigen den Possenreissern gleichtut, kennt den Aargau nur aus Eindrücken, die er aus dem Gehege der Nationalstrassen aufschnappt, oder aus den zugeschweissten Fenstern der durchrasenden Eisenbahnen. Diese um Minuten kämpfenden Transportmittel kennen jene Musse nicht, derer eine Ergründung des ausserordentlich bildungsbeflissenen Aargaus mit seinen Flüssen, dem Hallwilersee, den Auen, Hügeln, dem Jura, den Wäldern, Schlössern, Kleinstädten, oft bezaubernden Dörfern, aber auch den Industrie- und Energieanlagen bedarf. Eine unwahrscheinliche Vielfalt breitet sich hier aus, sodass der Slogan „Die Schweiz liegt im Aargau“ durchaus seine Berechtigung hat. Das Puzzle wird zu einem runden Gemälde, in dem die einzelnen Motive bestens zusammenpassen. Jedenfalls meistens.
 
Derartige grandiose Werte sind mit der grössten Sorgfalt zu hegen und zu pflegen. Sie dürfen keinesfalls aufs Spiel gesetzt werden. Im Blog „Schweiz: Plädoyer für eine selbstbewusste, mutige Politik“ vom 20.05.2015 habe ich anhand einiger markanten Beispiele dargelegt, wie salopp in unserem Land Schweiz oft mit überlieferten Grundsätzen und Prinzipen umgegangen wird. Davon ist auch der Aargau als besonders attraktiv ausgeschmückter Spiegel der Schweiz, bei Abstimmungen oft eine Verkörperung des schweizerischen Durchschnitts, nicht auszuschliessen. Freiheitsbeschränkungen können sich überall aus überbordenden Gemeinde- und Kantonsverwaltungen ergeben, die das Vertrauen auch dort, wo es gerechtfertigt wäre, durch arbeitstherapeutische Kontrollen und Erhebungen ersetzten und über Gebühr in die Privatsphäre der Bewohner vorstossen, sie sozusagen bis aufs Hemd ausziehen. Auf nationaler Ebene wird sogar die Unschuldsvermutung allmählich abgeschafft. Man kann auch seines Glücks Störenfried sein
 
Im Aargau, ein Freiheitsschutzpark,  ist das nicht der Brauch, abgesehen von einigen unvermeidbaren Ausnahmen. Das Zusammenleben ist einspannt und friedlich, dabei wohlgeordnet, und der Raum für eine persönliche Entfaltung ist dementsprechend vorhanden.
 
 
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