Textatelier
BLOG vom: 02.10.2015

Verschiedene Denkweisen

Autor: Fred Casadei


Ich hatte das neue schöne Hemd, welches mir meine Frau zum 30. Hochzeitsjubiläum geschenkt hatte, kaum einmal an und schon war ein Knopf an der Manschette verschwunden. Kein gewöhnlicher Knopf, nein, einer der Sorte, die man nie mehr in irgendeinem Geschäft wiederbeschaffen konnte. Ein Geständnis hätte eine unangenehme Gardinenpredigt zur Folge gehabt, die mit Vorwürfen und dem Hinweis auf meine Undankbarkeit geendet hätte. Ich dachte, vielleicht hat Frau Schramm, unsere Putzfrau, die letzte Woche bei uns war, den Knopf gefunden.

So entspann sich folgender Dialog quer über den Korridor:

Christine, wann kommt Frau Schramm wieder?

Warum. Hat sie wiede rmal bei dir nicht sauber geputzt? Das ist mir jetzt schon ein paar Mal passiert. Vielleicht müssten wir uns bei Gelegenheit nach einer anderen Putzfrau umsehen. Wenn das nur nicht so schwierig wäre. Heutzutage kriegt man solche Hilfen nur noch unter der Hand.

Nein, nein, bei mir ist alles sauber, äh, soweit ich das beurteilen kann.

Weisst du, es ist schon wirklich schwierig mit dir, du siehst nicht einmal, ob etwas sauber ist oder nicht. Ich hab dir schon ein paar Mal gesagt, dass du dich hin und wieder auch mal mit normalen Dingen befassen solltest, sonst verlierst du den Bezug zur Wirklichkeit noch vollständig.

Der Bezug zur Wirklichkeit ist momentan Frau Schramm!

Oho, sag mir nicht, du hättest ein Verhältnis mit Frau Schramm. Du in deinem Alter! Frau Meier nebenan vermutet auch, dass ihr Mann mit der Postbotin was hat. Ihr solltet euch was schämen, nach so langer Ehe. Wie kannst Du mir so was verheimlichen?

Ich habe nichts zu verheimlichen.

Ich werde mit Frau Schramm ein ernstes Wörtlein reden, wenn sie das nächste Mal kommt. Dann werden wir ja sehen.

Wann ist das nächste Mal?

Du weisst doch, dass sie jeden zweiten Dienstag um zwei kommt. Das tut sie schon seit über dreizehn Jahre. Das nächste Mal muss sie allerdings ihren Enkel hüten und da ist es unsicher, ob sie nachher noch kommen kann oder nicht. Der Enkel ist ja so süss. Ich kann gut verstehen, dass sie ihn gern mal bei sich hat. Die Tochter gibt ihn nur ungern her. Sie sagt, die Oma verwöhnt ihn zu sehr. Es sei immer schwierig, ihn nachher wieder ans normale Leben zu gewöhnen. Und da hat sie recht. Das war bei unserem Sohn genauso. Mutti hat ihn viel zu stark verwöhnt. Weisst du übrigens wie es ihm in Japan geht? Hat er mal telefoniert? Mit mir redet er ja fast gar nicht, er sagt immer, Telefonate mit mir seien ihm zu teuer. So ein Frechdachs. Soll er doch seine Hemden mal selber bügeln.

Kannst du mir die Telefonnummer von Frau Schramm geben?

Was willst Du denn von ihr. Ist das so dringend, dass es nicht bis zum nächsten Mal warten kann? Wenn's bei dir zu staubig ist, kannst du ja mal selber einen Lappen in die Hand nehmen. Dabei ist noch keinem ein Zahn ausgebrochen. Dein Interesse für Frau Schramm macht mich noch ganz nervös. Wenn du mir nicht sagst, was du von ihr willst, kann ich dir auch nicht helfen. Ich bin schliesslich keine Wahrsagerin, äh, keine Wahrseherin. Ich finde überhaupt, dass du den Kontakt mit Frau Schramm mir überlassen solltest. Die arme Frau kommt ja so ganz durcheinander. Was soll sie auch von uns denken, wenn wir dauernd hinter ihr her sind. Jeder Mensch braucht seinen ganz gewissen Freiraum, sonst fühlt er sich eingeschlossen und verkümmert seelisch. Sie freut sich immer, wenn sie mit mir ein paar Worte wechseln kann. Letzthin haben wir über Gott und die Welt gesprochen. Sie erzählte mir, sie hätte in deinem Schlafzimmer einen Knopf gefunden. Du weisst schon, vom neuen Hemd. Ich habe ihn wieder angenäht. Sie bügelt übrigens auch die Hemden für ihren Sohn, wie ich. Der bringt ihr aber immerhin hin und wieder ein paar Rosen. Meiner macht sowas nie. Er könnte sich auch einmal anständig bedanken. Er ist doch immerhin schon über dreissig. Es wäre wirklich an der Zeit, dass er endlich eine Frau kriegt. So kann das ja nicht weitergehen. Meinst du nicht auch? ... Hallo Hans, hörst Du mich noch ...

  


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