Textatelier
BLOG vom: 09.05.2005

Buchmesse Basel: Geöffnete Bücher, offene Menschen

Autor: Walter Hess

Heute werden weniger Bücher gelesen und mehr Bücher als ehedem publiziert. Das geht zwar nicht ganz auf, ist aber dennoch ein Anlass für Zuversicht.

Allein in der Schweiz erscheinen angeblich jährlich insgesamt rund 10 000 Bücher in allen 4 Landessprachen. Wenn ein gutes und grosses Buchangebot vorhanden ist, besteht die Chance, dass es dadurch zu einer Renaissance des Lesens kommt. Und einen Beitrag zur Förderung des Lesens leistet auch die von Matthyas Jenny initiierte Buchmesse, die am Wochenende vom 6. bis 8. Mai 2005 in der Messe Basel stattfand. Eine spezielle Abteilung war dem Kinderbuch gewidmet, die zwar einem Kinderhort glich, die aber dem Nachwuchs doch Vertrautheit mit einer Umgebung aus Büchern vermittelte. Vorlesungen waren der Hit. Das Heranführen der Kinder zum Buch ist von erstrangiger Bedeutung, damit aus ihnen erwachsene und gebildete Leser werden.

Buchmessen gibt es ausser in Basel zum Beispiel auch in Genf, Leipzig, Frankfurt am Main, London, Los Angeles, Chicago und New York. Die Basler Version ist ein junger Spross zur Förderung des Buchs und der Autoren. Die Muba-Ausstellungshalle, wo sonst Haushaltgeräte stehen, glich einem grossen Buchladen, der nach Verlagen geordnet ist. Sie hatte ihren besonderen Charme durch die vielen vertretenen Klein- und Kleinstverlage, die hier Einblick in ihre Produktion und ihre Philosophie gaben. Die Schriftstellerin Lislott Pfaff, die den Anlass ebenfalls besuchte, empfand dasselbe und berichtete mir dazu: „Am interessantesten sind, finde ich, die kleinen unbekannten Verlage. Da ist einer in Deutschland, der macht bibliophile Bücher im Bleisatz (eigenhändig gesetzt), jeweils 999 Ex. pro Buch und kein Stück mehr. Ein anderer Verlag, in Basel beheimatet, namens ‚AHA Fliege’, legt besonderen Wert auf Schriften und hat ein wunderschönes Buch über Schriften herausgegeben. Und natürlich eines über die Fasnacht. Beide sagten, sie seien sehr zufrieden mit dem Geschäftsgang an der Buchmesse Basel. Der Deutsche Christian Ewald („Katzengraben-Presse“, D-12555 Berlin-Köpenick) ist schon zum dritten Mal hier und kommt sehr gern. – Ich glaube, es lohnt sich kaum, die grossen Verlage anzuschauen, die sind ohnehin nur für arrivierte Autoren gedacht.“

Soweit der Bericht aus Liestal über die Geschehnisse in Basel. Tatsächlich scheinen die grossen Verlage einiges von ihrem ehemaligen Elan und ihrer verlegerischen Phantasie eingebüsst zu haben. In der Broschüre „Du öffnest ein Buch. Das Buch öffnet Dich.“, deren Titel aus einem chinesischen Sprichwort besteht, schreibt das junge verdienstvolle Buchförderungsunternehmen „Buchlobby Schweiz“: „Viele Schweizer Verlage mussten in den letzten Jahren ihre Arbeit einstellen. Die Absatzkanäle werden enger, der kommerzielle Druck auf dem Buchmarkt wächst. Schleichend verarmt das vielfältige Angebot für Autoren und Leserinnen. Eine gezielte Verlagsförderung ist notwendig, um das Verlagssterben zu stoppen.“

Beeindruckt hat mich in Basel immerhin der Appenzeller Verlag aus CH-9101 Herisau durch sein vielfältiges und reichhaltiges Angebot an Neuheiten aus allen möglichen Sparten, zu dem selbst umfangreiche Kriminalromane gehören. Die Kombination von Zeitung, Druckerei und Verlag mit den gegenseitigen Synergieeffekten scheint auch in schwierigen Zeiten zu funktionieren. In zahlreichen anderen Medienhäusern gibt es ähnliche Konstellationen, so etwa bei der „Aargauer Zeitung" (AT Verlag). Günstig sind auch Kombinationen aus einem Verlag und einem starken Internetauftritt, wie das bei unserer Verlag Textatelier.com GmbH., CH-5023 Biberstein, der Fall ist.

Verlage als Anreger und Katalysatoren

Mein Begleiter und Verlagspartner Urs Walter stellte beim Rundgang durch die Buchmesse in Basel fest, dass auch die Grossen nur mit Wasser kochen. Ja, wenn sie nur wenigstens ein Süppchen kochen! Verlage sind der einzig denkbare Nährboden für Bücher; ohne dieses Substrat würde die Buchproduktion austrocknen. Die Aufgabe eines guten Verlags ist (laut „Buchlobby“) diese: „Sie spüren Talente auf und suchen Autoren, die Ungewohntes denken und über Unbekanntes schreiben. In der Manuskriptfülle suchen sie die Themen der Zukunft. Sie animieren Fachleute und Wissenschaftler dazu, ihr Wissen für die Öffentlichkeit darzustellen. Sie arbeiten an den Texten, bis sie sitzen und überzeugen. Gute Verlage sind Anreger und Katalysatoren.“

Vorsicht ist bei so genannten Zuschussverlagen geboten, die einen äusserst schlechten Ruf haben, weil sie oft nichts anderes tun als die Autoren abzuzocken. Sie verlangen manchmal horrende Druck- und Herstellungskosten und verdienen dadurch einen Haufen Geld. Die Autoren ihrerseits aber gehen leer aus, müssen oft sogar noch ihre eigenen Bücher dem so genannten Verlag abkaufen.

Die Eigenverleger

Die Verlagsfunktionen erlöschen, wenn es mit dem schwierigsten Teil der Arbeit, dem Verkauf, harzt, wenn die Rechnung nicht mehr in einen Ausgleich zu bringen ist. Heute ist die Zurückhaltung der Verlage derart, dass sich immer mehr Autoren gezwungen sehen, ihr Schrifttum im Eigenverlag herauszugeben. Dagegen ist nichts einzuwenden, im Gegenteil: Die individuellen Produktionen sind eine willkommene Belebung der Bücherlandschaft.

Es steht für mich ausserhalb jeden Zweifels, dass das „Medium Buch“ das wichtigste, anspruchsvollste und gleichzeitig auch jenes Medium ist, das dennoch heute am wenigsten wahrgenommen wird. Bei der Aufzählung von Medien wird das Buch meistens unterschlagen, vergessen, sogar im „Duden“. Dabei hat das Buch die besten Eigenschaften zur geistigen Belebung des menschlichen Geists und der Gesellschaft, die es dringend nötig hätte, weil sie bereits allzu sehr einem Normdenken anheim gefallen ist, was die Manipulationsgefahren dramatisch steigert.

Ich habe das Glück, mit zahlreichen Selbstverlegern freundschaftliche Beziehungen pflegen und viel von ihnen profitieren zu dürfen. Einer besonders intensiven Zusammenarbeit erfreue ich mich mit Fernand und Ursula Rausser und ihrem Wegwarte Verlag in CH-3056 Bolligen, sodann mit Dr. Johann Georg Schnitzer aus D-88045 Friedrichshafen, der seine zahlreichen Werke über Ernährungs- und Gesundheitsfragen selber schreibt, gestaltet und vertreibt (vor allem über die Webseite www.dr-schnitzer.de) und mit dem ich mich des Öfteren darüber unterhalte, wie man sein Wissen und seine Werke unter die Leute bringen kann, sodann mit Elise und Hannes Taugwalder in ihrem seit Jahrzehnten bestehenden Glendyn Verlag in CH-5001 Aarau. Es ist für mich beeindruckend, wie viel Hilfe, Unterstützung und Tips ich als Jungverleger (68) von diesen Seiten erhalten habe.

Das Lesen lehren

Wahrscheinlich kann man das Buch als solches nicht fördern, sondern man muss das Lesen lehren und die Freude an eben diesem Lesen wecken. Die visuellen Medien wirken in gegenteiliger Richtung, auch wenn sie spätabends gelegentlich bemerkenswerte literarische Diskussionen und Quartette veranstalten, die den besprochenen Büchern zu einem enormen Popularitätsvorsprung verhelfen. Im Übrigen aber ergibt sich von dieser Seite ein verhängnisvoller Ablenkungseffekt: Das Fernsehen erfordert viel Zeit, die dann eben für andere kulturelle Aktivität fehlt. Eine Zeitvertrödelung ergibt sich, wenn Sendungen und Werbungen ständig wiedergekäut werden.

Viele Verlage sehen eine wichtige Aufgabe darin, die Autoren zu Lesungen zu animieren und den für den schriftstellerischen Prozess nötigen Kontakt zum Publikum zu pflegen. Autorenlesungen sind allerdings oft deshalb unbefriedigend, weil das Schreiben und das Vorlesen, für das auch schauspielerische Talente vorhanden sein sollten, schon 2 Paar Stiefel sind. Wer gut schreibt, ist noch lange nicht unbedingt ein guter Vorleser. Der Idealfall sind Lesungen durch einen Schauspieler oder ausgebildete Sprecherinnen und Sprecher, die dann das Buch durch Betonungen und gewissermassen eine durch die Stimme erzeugte passende tonale Modulation adeln können; ein Gestotter beim Lesen aber wertet jedes Werk ab.

Zukunft des Hörbuchs

Aus solchen Erkenntnissen heraus habe ich mich in Basel sehr für Hörbücher interessiert, eine Art Zwischenmedium, das eine grosse Faszination sein kann und sich allmählich zu verbreiten scheint, auch wenn hinsichtlich der Möglichkeiten des Unterbrechens beim Hören technisch noch einige Fortschritte zwingend sind (siehe Blog vom 22. April 2004: „Das Elend bei der Wiedergabe von Hörbüchern ab CD“). Zu meiner Freude habe ich in Basel eine Dreier-CD „Müller Texte lesen“ gefunden, auf der 42 verschiedene Schauspieler Texte von Heiner Müller vorlesen, eine Zusammenfassung (214 Minuten) von tagelangen Veranstaltungen, die von Radio Brandenburg mitgeschnitten wurden. Diese seien allerdings schwer verständlich, warnte mich eine junge Verkäuferin, die bei mir nicht allzu viel an intellektuellen Voraussetzungen zu orten schien. Ich tröstete sie: Es gehe mir vor allem um die Beurteilung der Vorlesequalitäten. Jedenfalls stimmte sie dem Verkauf daraufhin ohne Weiteres zu. Erstaunt hat mich auch, dass zunehmend auch Sachbücher zu Hörbüchern werden, vielleicht auch im Dienste von Senioren, die beim Hören weniger ermüden als beim Lesen der oft zu kleinen oder sonstwie schlecht leserlichen Schriften.

Das Unbegreifliche

An der Buchmesse in Basel gab es neben Autorenlesungen auch Diskussionen und Interviews mit Schriftstellern. Zufällig hörte ich ein Gespräch mit dem holländischen Schriftsteller Bart Moeyaert, der mit seinem Buch „Es ist die Liebe, die wir nicht begreifen“ auch im deutschsprachigen Raum bekannt geworden ist. Der 40-jährige Autor aus Antwerpen schilderte die Faszination des Schreibens: „Wenn ich schreibe, wenn ich ein Buch fertig mache, fühle ich mich ganz. Wenn ich nicht schreibe, kann ich nicht glücklich sein. Wenn meine Partnerin mit meinem Schreiben nicht einverstanden ist, kann ich nicht mit ihr zusammenleben; denn dann bin ich nicht glücklich.“ Er setzt auf die Wirkung von Bildern und Pausen („Leerstellen“). Und bildhaft beschrieb er den Prozess des Schreibens: „Man begibt sich ins Dunkel eines Schneckenhauses, ist mitten drin, muss eine Erfahrung machen, wieder einen Weg finden, um herauszukommen.“

Als Bühnenbild diente ein überdimensioniertes aufgeschlagenes Buch mit einem Text über Lu Chi, der besser in der Schreibweise Lu Ji (261−303) bekannt ist; darin wurde über den Gebrauch beziehungsweise Nichtgebrauch von Adjektiven fabuliert. Chi wurde insbesondere durch sein Werk „Wenfu“ („Poetische Beschreibung der Literatur“) berühmt, das gelegentlich mit Dantes „De vulgari eloquentia“ verglichen wird. Für Lu Chi besteht die Bedeutung der Literatur vor allem darin, dass sie die Gedanken und Gefühle des Autors in einer angemessenen Form spiegelt.

Wenn diese mächtig und überzeugend genug sind, um der Gesellschaft die ständig nötigen Impulse zu geben, dann hat die Literatur ihren Zweck erreicht.

Nicht auszudenken, wie arm wir ohne solche Anregungen wären.

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