Textatelier
BLOG vom: 29.05.2005

Individualität: Hochwertiges Papier adelt die Handschrift

Autor: Walter Hess

In diesem Maschinen- und Computerzeitalter erleben handgeschriebene Briefe eine kleine Renaissance. Innerhalb all der Billigdrucke fallen sie auf; sie sprechen an. An einem Kurs zum Thema Geschäftsbriefe, den ich in einer Bank leiten durfte, habe ich dafür plädiert, dass bei persönlichen Briefen an Kunden oder an andere Menschen, zu denen eine persönliche Beziehung besteht oder auf- beziehungsweise ausgebaut werden soll, nicht nur die Unterschrift, sondern auch die Anrede von Hand geschrieben werden sollte – im Minimum. Was ehrt und beeindruckt mich mehr als einen handgeschriebenen Brief von einem Bankdirektor oder einem Angestellten zu erhalten, ein Zeichen von Wertschätzung!

Als Stellensuchender würde ich auch den Begleitbrief zu den Bewerbungsunterlagen unbedingt handschriftlich abfassen – so etwas fällt heute auf, beweist Sinn für Stil. Die Handschrift muss gepflegt werden, wenn sie sich ausprägen, auf die eigene Persönlichkeit einschleifen soll. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht einen meiner zahlreichen Füllfedern zur Hand nehme, bei besonders wichtigen Schriftstücken greife ich zu meinem gewöhnlichen Federhalter mit der Schreibfeder, die meinen kräftigen Druck abfedert und in unterschiedlich dicke Striche, teilweise wie mit Schattierungen, umsetzt. Die Feder muss man immer wieder ins Tintenfass tauchen, ein wunderschönes, beglückendes, beflügelndes Ritual, eine vereinfachte Form der Kalligraphie. Blaue Flecken an Mittel- und Zeigefinger der rechten Hand, die das Schreibwerkzeug geführt haben, sind nichts Unehrenhaftes.

Worauf schreibt man denn? Welches ist das richtige Schreibpapier? Ein glücklicher Zufall führte mich kürzlich mit Hans-Albert Kufferath und seiner kreativen Frau Doris zusammen, Inhaber der 1979 in Hallwil gegründeten und über Rupperswil nach CH-5600 Lenzburg gezogenen Artoz Papier AG, die ein ständiges organisches Wachstum hinter und wahrscheinlich auch noch vor sich hat. Der geschäftsführende Inhaber lud mich spontan ein, sein Unternehmen, von dem aus Wiederverkäufer in aller Welt beliefert werden, zu besichtigen. Ich erwartete so etwas wie eine grosse Papeterie und landete bei einem ausgedehnten Handelsunternehmen mit rund 180 Angestellten, das äusserlich noch an die vergangene solide Industriekultur erinnert: Ein langer Schedbau (Shedbau) mit Sägedach, dessen Glasflächen nach Norden ausgerichtet sind, so dass der Lichteinfall das umfangreiche, wohlgeordnete Lagergut nicht zum Vergilben bringt. Die Sortimentsvielfalt erfordert beim Bearbeiten der Bestellungen noch der umfangreichen Handarbeit, die in dieser rationalisierungswütigen Zeit rar geworden ist.

In einem Schauraum gab es eine kompetente Einführung ins Angebot an hochwertigen Schreibpapieren, Schreibkarten und Briefumschlägen. Diese sind in angenehmen, hellen bis dunklen Farben gehalten, die dem Zeitgeist entsprechen – von Pastelltönen bis zu kräftigen Farben mit plakativer Wirkung. Die dunklen Briefbögen, Karten und Kuverts werden mit einer gold- oder silberhaltigen Spezialtinte beschrieben, ein nobler Kontrast.

Dadurch wird neben dem geistigen Gehalt, der sich im geschriebenen Wort findet, auch das ästhetische Empfinden befriedigt – durch Schrift und Papier. Besonders ansprechend sind für mich Papiere mit Wasserzeichen, ein zurückhaltender vornehmer Echtheitsnachweis (ein sich hell abhebendes Muster, das auch ein Firmenlogo sein kann). Doch nicht nur das Auge, sondern auch der Tastsinn kommt auf seine Rechnung. Die Papiere haben unterschiedliche Dicken und Strukturen und können mit Hadern (wie Baumwollfasern) veredelt sein. Dieser Hader hat nichts mit Streitereien zu tun, sondern das aus dem Mittelhochdeutschen stammende Wort bezieht sich auf den Schafspelz. Wenn die Hadern aus Zellulosefasern bestehen würden, vergilbte das Papier schneller (bei kurzlebigen Zeitungspapieren spielt dies keine Rolle). Andere Papiere knistern, wenn man sie bewegt − etwas fürs Ohr.

Das taktile Wahrnehmen kommt neben dem Auge auch bei handgeschöpften Büttenpapieren mit den charakteristisch gefransten Rändern zum Zuge, edle Produkte traditioneller handwerklicher Papiermacherkunst. Hierzu gehören die intensiv strukturierten, rustikalen „Himala“-Papiere, Gebirgslandschaften im Kleinstformat in hellem Chamois, obschon der Name nichts mit dem Himalaya-Gebirge zu tun hat. Auch gibt es Transparentpapiere, worunter solche, die auf (Hand-)Wärme reagieren. Und so kommt man denn zu Dekorations- und Verpackungspapieren wie dem perforierten „Pablo“-Papier, das Moiré-Effekte hervorbringen kann, wenn man Bögen übereinander legt, Rastermuster, die diesmal erwünscht sind (weniger ist das in der Druckereibranche der Fall).

Nachdem ich die Papiere betrachtet und betastet hatte, fragte ich den Fachmann Kufferath noch, ob er in seinem unwahrscheinlich breiten Sortiment auch noch etwas für die Nase zu bieten habe. Er öffnete den Umschlag, in dem eine Glückwunschkarte mit Rosenmotiv steckte und die tatsächlich einen dezenten Rosenduft verströmte. Auch gibt es Schreibbögen aus dünnen Holzfolien, die – etwa im Falle von Zedernholz – ihren eigenen Geruch haben, ein Naturparfüm.

Das alles kann ein Teil der Schreibkultur sein, die dem Textatelier.com ohnehin eine Herzensangelegenheit ist. Wir arbeiten meistens mit dem Computer, wobei sich immer wieder das Bedürfnis einstellt, ein archaisches Schreibwerkzeug in die Hand zu nehmen – ich habe noch mehrere Gänsekiele – einer von ihnen ziert auch unser Textatelier-Verlagslogo. Und was für Schreibpapiere zu diesem stilvollen Schreiben gehören, weiss ich spätestens seit meinem Besuch an der Ringstrasse West in Lenzburg. Es ist mir gelungen, die Messlatte für unsere haus- und firmeneigene Schreibkultur weiter hinaufzuschrauben, nicht zuletzt auch zum eigenen Vergnügen.

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